Im Wolhynier-Umsiedlermuseum in Linstow erzählen ausgewählte Schicksale große Geschichte
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal im Umsiedlermuseum in Linstow, das an Vertreibung und Neuanfang erinnert.

Die Bohlen des Holzhauses greifen an den Ecken ineinander, im Hof steht ein Ziehbrunnen. Ein bisschen erinnert das Bild an ein osteuropäisches Märchen, wäre da nicht der Gedenkstein. „Den Opfern von Flucht und Vertreibung“ ist darauf auf Deutsch, Polnisch und Ukrainisch zu lesen. Das Wolhynier-Umsiedlermuseum in Linstow ist ein Ort, der deutsche Geschichte erzählt. Die der Wolhyniendeutschen und damit auch die der zwölf Millionen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verloren und in der Fremde neu Fuß fassen mussten.
In Linstow hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Einwohnerzahl verdreifacht. Damit waren die „Neuen“ dort anders als anderswo nicht nur in der Mehrheit, sie kamen auch mehrheitlich aus Wolhynien, einer historischen Region im Nordwesten der heutigen Ukraine. Die so entstehende Dorfgemeinschaft war auf diese Weise sehr von Kultur und Bräuchen aus Osteuropa geprägt.
So entstanden in Linstow typische Holzhäuser in osteuropäischer Bautradition: mit aus Stämmen gesägten Bohlen und einem Dach, das anders als in Wolhynien nicht mit Stroh, sondern mit mecklenburgischem Schilf eingedeckt wurde. Bis zu zehn solcher Holzhäuser soll es in dem Ort gegeben haben. Im Haus der Familie Altmann nahm das Linstower Museum seinen Anfang. Emma Altmann und ihre Söhne hatten das Gebäude 1947 errichtet. „Die Küche war der einzige beheizbare Raum, dazu kamen eine Wohnstube und ein Schlafraum für alle Personen, außerdem ein Stallteil und ein separater kleiner Raum für eine Magd“, sagt Michael Thoß. Der Historiker leitet das Museum, das sich in Trägerschaft des Linstower Heimatvereins befindet.
Wer heute das Holzhaus der Familie Altmann betritt, entdeckt nicht nur die historische Raumstruktur. Bewahrt werden auch Gegenstände – wie zum Beispiel die Musterwalzen, mit denen Wände anstelle von Tapeten farblich dekoriert wurden. Eine Medienstation führt mit Hilfe von Videos in die Erinnerungen von Zeitzeugen, Schautafeln erzählen die Migrationsgeschichte der Wolhyniendeutschen.
Die beginnt im 19. Jahrhundert. Deutsche Bauern wurden damals angeworben, sich in Wolhynien niederzulassen. Durch mehrere Grenzverschiebungen gehörte die Region zum zaristischen Russland. Während des Ersten Weltkriegs wurden Deutsche Siedler nach Südrussland deportiert – zu groß war die Angst, dass sie im Krieg an deutscher Seite kämpfen könnten. Nach Kriegsende kehrten viele wieder nach Wolhynien zurück – in ein Gebiet, das jetzt zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt worden war. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs mussten die Wolhyniendeutschen erneut ihr Hab und Gut packen. Mit der „Heim ins Reich“-Bewegung wurden sie nach dem deutschen Überfall auf Polen im annektierten Wartheland angesiedelt, von wo sie 1945 wieder in Richtung Westen vertrieben wurden – unter anderem bis nach Linstow.
Bis 1987 lebte Emma Altmanns Familie hier in dem kleinen Holzhäuschen. Dann wurde es baupolizeilich gesperrt und für den Abriss freigegeben. Dass dies nicht geschah, ist Johannes Herbst zu verdanken. Als er von der Geschichte der Wolhynier erfuhr, war ihm klar, dass die Erinnerung daran erhalten werden musste. „Wir treten hier aus dem Bereich der Heimatstube heraus, denn in dem Schicksal der 200.000 bis 250.000 Wolhynier spiegelt sich auch die große Geschichte“, sagt Michael Thoß. Der stellvertretende Vereinsvorsitzende Lothar Fetzer, dessen Großeltern aus Wolhynien stammen, kann dem nur beipflichten.
Allerdings sieht er die Zukunft nicht rosig: Zwar gibt es auf dem Hof seit 2005 auch ein Multifunktionsgebäude, unter anderem für museale Nutzung. Dennoch bedürfte die Einrichtung seiner Meinung nach einer institutionellen Förderung, um sowohl die erinnerungskulturelle Arbeit im Kontext von Flucht und Vertreibung als auch die wissenschaftliche Aufarbeitung abzusichern. Denn Nachfahren der Wolhynier gibt es inzwischen auf der ganzen Welt und viele finden den Weg nach Linstow.
Katja Haescher