Die Heiligen-Geist-Kirche in Wismar birgt bunte Schätze aus dem Mittelalter

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Wismarer Heiligen-Geist-Kirche, die an einer geschichtsträchtigen Durchfahrtsstraße steht.
Über die Lübsche Straße kamen sie alle. Der uralte Transitweg entlang der südlichen Ostseeküste verband Lübeck und Wismar und Stralsund und Danzig und Reval. Genau dort, wo sich das Tor in der einstigen Plankenbefestigung der Stadt befand, entstand in der Mitte des 13. Jahrhunderts ein Hospital. Hier erfuhren Pilger, Reisende und Hilfebedürftige Zuwendung für Leib und Seele. Gotteshaus, Krankenhaus, Herberge – als Spitalkirche vereinte die Heiligen-Geist-Kirche verschiedene Aufgaben.
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts dann ein Neubau, der in seiner grundlegenden Form bis in die Gegenwart überdauert hat. Wer heute die Kirche von der Lübschen Straße aus betritt, schaut zuerst nach oben: eine bemalte Holzdecke zieht die Blicke in dem saalartigen Raum auf sich. Unter ihr elf freitragende, im gotischen Stil bemalte Balken, welche die beiden Längswände zusammenhalten. Die Szenen aus dem Leben Marias auf den Fenstern an der Nordwand lassen buntes Licht in den Kirchenraum fallen. Bunt auch die mittelalterlichen Fresken, die ebenfalls an der Nordwand freigelegt wurden. Da ist ein so genanntes „Memento mori“, eine Mahnung, sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein. Das Bild zeigt drei sprechende Gerippe, die große Ähnlichkeit mit Comic-Mumien haben, und die Königen auf der Jagd Warnungen zurufen. Möglicherweise ist das Bild im Zusammenhang mit Pestepidemien im 14. Jahrhundert entstanden – wenngleich die eigene Sterblichkeit damals sehr gegenwärtig war. Da konnte oft auch kein Hospital helfen. Zwar linderten christliche Nächstenliebe und Fürsorge manche Not, dennoch ging es eher darum, die Seele zu kräftigen. Dank der Betten im Kirchensaal konnten auch Bettlägrige der Messe lauschen. Dieser Gedanke der Teilnahme war auch der Grund, dass das 1411 gebaute Siechenhaus bis zur Reformationszeit zum Kirchenraum hin offen war. So gelangten die Worte zumindest akustisch in jeden Winkel.
Der Wunsch nach Kräftigung der Seele oder zumindest der der Moral ist an einem weiteren mittelalterlichen Fresko abzulesen. Es zeigt Sünden wie Völlerei und Eitelkeit, Geiz, Stolz und Wollust. Vermutlich gab es ein komplementäres Bild der Tugenden, das vermutlich beim späteren Einbau zweier Kapellen in der Nordwand verschwand – die Laster sind vermutlich auch spannender. Michael Bunners bezeichnet ihre Darstellung auf der Kirchenwand in einer Schrift über das Heiligen-Geist-Hospital zu Wismar als nahezu einmalig in der deutschen Kunstgeschichte.
Apropos Kunst: Die Kirche enthält heute auch Ausstattungsstücke aus St. Georgen und St. Marien, so dass sie auch zum Schrein für die Schätze der anderen geworden ist.
Auch die Renaissance hat noch etwas Schönes hinzugefügt: das Gestühl. Als nach der Reformation niemand mehr in der Kirche wohnte, war Platz, neu zu möblieren. Wer wo und in welcher Kirchenbank der nun protestantischen Predigt lauschte, ist noch heute an prächtigen Gestühlswangen sichtbar. Sogar der Scharfrichter, der früher aufgrund seines „unehrlichen“ Berufs gar nicht in die Kirche kommen durfte, fand seinen Platz: Er saß hinter dem Marterrad.
Katja Haescher