Wie kommen Menschen raus aus dem stillen Kämmerlein? Muss Homeoffice eigentlich immer zu Hause stattfinden? Und wie lassen sich eigene gute Ideen mit denen anderer verbinden? Elisa Witt kann alle diese Fragen mit einem einzigen Wort beantworten: „tisch“. Das ist der Name des Coworking Space, mit dem die Jungunternehmerin 2019 in der Schweriner Altstadt an den Start gegangen ist.
Wer jetzt fragt: „Coworking was?“, ist nicht allein. Denn während es in größeren Städten schon länger Räume gibt, in denen Gründer, Freiberufler und Heimarbeiter an großen Tischen zusammenkommen, betrat Elisa Witt in Schwerin mit ihrer Idee Neuland. Aber der Reihe nach.
Erste Voraussetzung für das Projekt war ein Abschied: Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Ökologischen Jahr bei der Buga verließ Elisa Witt ihre Heimatstadt Schwerin in Richtung Kiel und Rostock zum Studieren. Ihre Bachelorarbeit in Sozialwissenschaften schrieb sie zum Thema „Kino und demographischer Wandel“, was den weiteren Weg schon erahnen ließ: Jetzt ging es nach Hamburg zum Film. Kabel tragen, Kaffee kochen, Castings: Elisa Witt wusste die familiäre Atmospäre im Produktionsteam und die Abwechslung zu schätzen.
Das änderte sich, als an Stelle der spannenden Spielfilm-Castings immer mehr Aufträge für Werbefilme mit klaren Vorgaben traten: „Das war nicht mein Ding“, sagt sie – und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit. Der Kunst blieb die 31-Jährige dabei treu: Jetzt war es die Poetry-Slam-Szene, der sie ihr Organisationstalent widmete. Künstler betreuen, Veranstaltungen organisieren, Auftrittsorte klarmachen – für den „Kampf der Künste“, den weltweit größten Poetry-Slam-Veranstalter.
Zurück nach Schwerin brachte Elisa dann der Hamburger Immobilienmarkt: „Ich habe eine neue Wohnung gesucht und das war einfach nur aussichtslos“, erinnert sie sich. In Schwerin dagegen war der Markt 2018 noch deutlich entspannter – davon abgesehen, dass die Traumwohnung ungefähr die Hälfte des hansestädtischen Mietpreises kostete. Und weil eine Kulturmanagerin nicht viel mehr braucht als Computer und Telefon, zog Elisa Witt wieder in ihre Heimatstadt.
„Ich war sehr glücklich – und sehr erschrocken, dass alles so war wie vor zehn Jahren“, blickt sie zurück. Der Rückkehrerin fehlte vor allem die Möglichkeit, den Rechner an einem öffentlichen Platz aufzuklappen und Menschen zu treffen, die nicht in feste Bürostrukturen eingebunden waren. Menschen, die kreative Projekte verfolgten, etwas Neues ankurbelten. Aus Gesprächen erfuhr Elisa, dass es auch andere gab, die einen solchen Platz vermissten. „Also hab ich mir gesagt: Es ist meine Heimatstadt. Mir fehlt etwas. Ich will nicht nur meckern, sondern werde es selbst machen.“
Hilfe bekam die Gründerin unter anderem von der IHK zu Schwerin und durch den Wettbewerb Erfolgsraum Altstadt. „Ich kann nur jedem empfehlen, bei so etwas mitzumachen. Mir hat es den Start unglaublich erleichtert“, sagt Elisa, die 2019 mit ihrem Geschäftskonzept als Siegerin hervorging. Und Hilfe auf dem Weg konnte sie gut gebrauchen: Zwischen März und August 2019 war sie täglich 15 Stunden in den neuen Räumen und arbeitete daran, ihrem Traum Gestalt zu geben.
Der Coworking Space bietet Menschen die Möglichkeit, stunde- oder tageweise einen Arbeitsplatz zu mieten. Es gibt einen großen Tisch, an dem sich Rechner einstöpseln lassen genauso wie kleine private Nischen – „ideal für Mecklenburger“, lacht Elisa. Außerdem gibt es Kaffee, Gesellschaft und die Möglichkeit, sich zu vernetzen. Kurse haben bereits stattgefunden und Veranstaltungen. Aktuell hemmt Corona – und Elisa Witt macht aus ihrer Besorgnis kein Hehl: „Ich habe daran als Selbstständige sehr zu nagen. Meine Fallhöhe ist eine ganz andere.“
Sie ist davon überzeugt, dass die Pandemie Innenstädte verändern wird, eine Umformung, die ohnehin im Gange war. Aber was ist nun der ideale Stadtmittelpunkt? „Für mich einer, in den man geht, um Leute zu treffen – und nicht nur vordergründig, um etwas zu besorgen“, sagt die Vernetzungsspezialistin. Und apropos Netzwerk: Inzwischen engagiert sich Elisa Witt auch im Vorstand der Wirtschaftsjunioren der IHK Schwerin. „Ich mache gern Dinge mit anderen zusammen“, sagt sie – eine ebenso wichtige Eigenschaft wie ihre Neugier und der Mut, Dinge auch mal anders anzupacken.
Und was wünscht sich die junge Unternehmerin, wenn sie an den „tisch“ in zehn Jahren denkt? „Ich träume davon, dass es hier jeden Tag voll ist und ein wirklicher Marktplatz in der Innenstadt entstanden ist“, sagt sie. Und wenn der „tisch“ so gut funktioniert, ließe sich die Idee auf weitere Orte projizieren. „Warum nicht auch auf den ländlichen Raum?“, fragt die 31-Jährige – digitale Nomaden können schließlich überall arbeiten. Aber dann konzentriert sie sich wieder auf die Gegenwart – und auf dieses Jahr, von dem Elisa Witt jetzt schon weiß, dass es ein ganz besonderes wird: In einigen Wochen kommt ihr erstes Kind zur Welt. Katja Haescher