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Theater mit Schisslaweng

Hat sie nach so vielen Jahren noch Lampenfieber? Und wie, sagt Lisa Kuß, eine Premiere, das bedeutet immer Adrenalin. Und sie wünscht sich inständig, genau das im März zu spüren. Dann will das Ensemble der Niederdeutschen Bühne Wismar den fünften Versuch unternehmen, sein neues Stück „Lütt Paris“ auf die Theaterbühne zu bringen – zu oft hat Corona bereits dazwischengefunkt. Dann will Lisa Kuß endlich wieder vor
Zuschauern stehen, diesmal als Martha Joost, die den familieneigenen Gemischtwarenladen in eine Dessous-Boutique umwandeln möchte und sich vom Gegenwind aus der Dörpschaft nicht unterkriegen lässt.
Lisa Kuß und die niederdeutsche Bühne Wismar – das ist eine Liebesbeziehung. Als 17-Jährige hat sie hier ihre erste Rolle gespielt, die Tochter des Protagonisten. Dann wurde sie Bühnenmutter, Bühnenoma … Sie hat hier ihren
Mann kennen gelernt, die Kinder sind sozusagen am Theater aufgewachsen, die Enkel haben in der Kinder- und Jugendtheatergruppe gespielt. Wenn die Rolle der Volksschauspielerin jemandem auf den Leib geschrieben ist, dann ist es Lisa Kuß.

Theater als Familiensache: Für Lisa Kuß und ihre Tochter Antje Karsten gehört
die niederdeutsche Bühne einfach dazu. Foto: Katja Haescher

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seit 1956 ist sie Mitglied der Niederdeutschen Bühne, seit 1967 deren Vorsitzende. „Ich wollte unbedingt Theater spielen“, erinnert sie sich. Was sie nicht wollte, war wegzuziehen aus Wismar. Was die Eltern nicht wollten, war, die Tochter als Schauspielerin in einem Beruf mit ungewissen Aussichten zu wissen. So fügte sich am Ende alles:
Lising lernte etwas „Anständiges“ – erst als Schlosserlehrling auf der Werft und später als Industriekauffrau
und Diplom-Ingenierin, und lebte in der Freizeit ihre Liebe zum Theater. Beruf, Fernstudium, Familie, Bühne – wie hat sie das nur geschafft? „Ehrlich gesagt, ich weiß es heute auch nicht mehr“, sagt sie. Vielleicht, weil der Zusammenhalt innerhalb des Vereins groß war, so, wie in einer Familie. 1925 wurde die Niederdeutsche Bühne in Wismar gegründet – sie ist der älteste Kulturverein der Hansestadt; gerade erst haben Stadt und VR Bank wieder einen zweijährigen Kooperationsvertrag unterschrieben. Dass es den Verein heute noch gibt, ist zu einem großen Teil das Verdienst von Lisa Kuß und ihrer Familie. So wie auch die anderen Ensemblemitglieder schenkten sie dem Theater Urlaubstage, Feierabende und Freizeit, fuhren mit dem eigenen Trabi zu den Auswärtsterminen und wenn bei jemandem zu Hause ein Möbelstück fehlte, stand das ganz sicher irgendwo auf der Bühne. Irgendwann wollten auch die Kinder nicht mehr nur mit ins Theater, sie wollten mitspielen. Also hob Lisa Kuß eine Kinder- und Jugendgruppe aus der Taufe, in der schon die Jüngsten ihre Theaterbegeisterung ausleben und nebenbei in die niederdeutsche Sprache eintauchen konnten – und das heute immer noch können. Lisa Kuß selbst ist mit Plattdeutsch aufgewachsen, die Eltern beherrschten es, die Großeltern sprachen es. Sie liebt die Sprache, weil alles so viel liebevoller, zugewandter, gemütlicher klingt. Und plietsch natürlich – das bedeutet klug auf Plattdeutsch, aber eigentlich noch viel mehr, „klug mit ein bisschen Schisslaweng“, sagt Lisa Kuß.
Genau diese Zwischentöne sind es, die niederdeutsches Theater ausmachen. Und natürlich die Spielfreude, die in Wismar seit Jahrzehnten die Menschen zu den Vorstellungen lockt. Bis zu 50 Mal und mehr werden manche Stücke
gezeigt – alles im Ehrenamt. Lisa Kuß‘ Lieblingsrolle: die Ilsebill im „Fischer un sien Fru“. „Wie die von der Fischfru aus dem Pisspott die große Karriere macht und sich immer wieder verändert – das zu spielen hat unglaublich viel
Spaß gemacht“, sagt die Wismarerin, die regelmäßig auch ihr Improvisationstalent unter Beweis stellen muss. Einmal spielte sie an der Seite ihres Mannes Willi eine Postbotin, die zu zwei Seemännern kommt, von denen der zweite allerdings erst nach einem Stichwort die Bühne betreten sollte – allein, er tat es nicht. Lisa und Willi tranken einen Kaffee nach dem anderen und versuchten sich im Smalltalk – „un de anner stand achtern Vorhang un hett up sien Stichwuurd täuwt, dat längst vorbi wier“, sagt Lisa Kuß und fügt hinzu: „Zum Improvisieren muss man dann wirklich Plattdeutsch können, da reicht es nicht, den Text zu lernen.“ Viele Ehrungen hat Lisa Kuß bereits
bekommen. Gerade Ende des vergangenen Jahres erhielt sie den Erhard-Bräunig-Preis für bürgerschaftliches
Engagement, sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, des Johannes-Gillhoff- Preises und des Ehrenrings der Hansestadt Wismar. Im Januar wird sie 84. Und im März ist dann hoffentlich Premiere.

Katja Haescher