Lutz Dettmann ist begeisterter Leser und Schreiber – gerade hat er wieder ein Buch herausgebracht
Die Müllerstraße in Schwerin:
„Beschaulich, mehr wie aus der Kleinstadt in die Bezirksstadt gesetzt, auch wenn ihre Häuserreihen zu hoch für Crivitz oder Brüel waren.“ So schreibt Lutz Dettmann über die Straße, in der er aufgewachsen ist. Hier hat er mit
Freunden die Hinterhöfe der Nachbarn durchstöbert, den Laternenmann geärgert und später dem laut aufgedrehten Deep-Purple- Sound aus der Nummer 10 gelauscht, deren Bewohner Besitzer einer großen Plattensammlung waren.
Vieles ist vergangen, das Schreiben ist geblieben. Gerade erst ist wieder ein neues Buch des gebürtigen Schweriners erschienen. „Nathalie oder Das gestohlene Lied“ enthält elf Erzählungen, die im Zeitraum von 20 Jahren entstanden sind. Und wieder sind es auch Erinnerungen, Erlebnisse, Orte aus Kindheit und Jugend in Schwerin, die hier einflossen. Da drängt sich fast die Frage auf, warum Lutz Dettmann nicht „irgendetwas mit Literatur“ studiert hat. „Das weiß ich auch nicht“, sagt er lachend und eigentlich ist die Frage auch falsch, denn er hat Literatur studiert: aus den Bücherschränken der Großeltern und Eltern, historische Romane, den Gustav Schwab, Edgar Allan Poe; später Fallada und immer wieder Christoph Hein.
Im Haus in Rugensee reichen heute die Bücherregale bis zur Decke, natürlich sind sie voll. Und nahezu ein ganzes Fach hat Lutz Dettmann selbst gefüllt. Von Beruf ist der Mecklenburger Vermesser. Sein Studienwunsch Geschichte und Archäologie platzte, als ein Klassenkamerad mit dem gleichen guten Durchschnitt NVA sagte – und den einzigen Platz an der Erweiterten Oberschule erhielt. Längst hat sich Lutz Dettmann damit ausgesöhnt, kein Archäologe geworden zu sein. Denn als Schriftsteller, wenn auch im Nebenberuf, geht er den Dingen genauso auf den Grund, legt Verborgenes frei, schickt Phantasie auf die Reise. „Manchmal weiß ich, wenn ich anfange, selbst noch nicht, wie die Geschichte ausgeht“, sagt er. „Nathalie“, die Erzählung, die dem aktuellen Buch den Namen
gab, ist mit Ende Nummer vier gedruckt worden. „Wer die Beatles nicht kennt“ wurde das erste Buch des heute 60-Jährigen. „Auslöser dafür waren die Fragen meiner Kinder, die wissen wollten, wie unsere Jugend in der DDR gewesen ist“, sagt er. Also machte er sich ans Werk – auch angestachelt von dem Ärger darüber, wie mancher den Dabeigewesenen im Nachhinein dieses Land erklären wollte.
Das Buch verkaufte sich gut und plötzlich saß Lutz Dettmann in der Buchhandlung an dem Tisch mit dem Wasserglas – vor sich mehr als 100 erwartungsvolle Zuhörer. „Diese erste Lesung vergesse ich nie. Ich hatte so einen Durst, weil ich vor Aufregung gleich zu Beginn das Wasser verschüttet hatte“, erinnert er sich. Inzwischen ist mit der Zahl der Bücher auch die Erfahrung in dieser Situation gewachsen. Aktuell vermisst Lutz Dettmann die Lesungen – zu gern würde er „Nathalie“ einem Publikum vorstellen, den Austausch erfahren. Er wünscht sich sehr, dass es im Herbst zu den Schweriner Literaturtagen klappt. Den Reiz des Buches macht seine thematische Vielfalt aus. Der Grenzer, der sich in ein Mädchen verliebt, das er nur hinter dem Zaun sieht. Der Pianist, der eine unglaubliche Liebesgeschichte erzählt. Der Verlassene, der sich am Heiligabend in der Schweriner Straßenbahn seiner Einsamkeit bewusst wird. Auf ein thematisch schwieriges Gebiet wagte sich Lutz Dettmann mit „Anu: Eine Liebe in Estland“. Er liebt das Land, seit er als Jugendlicher mit dem Freundschaftszug nach Tallinn reiste. Damals
lernte er Valdur kennen, von dem er heute sagt, dass er sein ältester Freund ist. Viele weitere estnische Freunde kamen in den Jahren dazu. Und der Wunsch, das Schicksal der Menschen im zweiten Weltkrieg zu thematisieren; ein Wunsch, den Valdur mit den Worten: „Bist du irre? Du kannst doch nicht als Deutscher über unsere Geschichte schreiben!“ kommentierte. Inzwischen ist das zweiteilige Buch erschienen und auch ins Estnische übersetzt worden, zwei Jahre stand es dort in den Top Ten.
Und es bleibt spannend. Ein neues Projekt liegt bei Lutz Dettmann schon auf dem Schreibtisch, dann gibt es ja noch den Hauptberuf als Vermessungstechniker und auch die Familie wächst – die Enkelkinder sorgen für Bewegung. Außerdem engagiert sich der Rugenseer im Förderverein Alter Friedhof – diese große Grünfläche in der Stadt hat er schon als Kind geliebt. „Ich habe da gespielt, Kastanien gesammelt, die erste Zigarette probiert“, erinnert er sich und nimmt als Mitglied des Fördervereins inzwischen auch andere Menschen auf die Spaziergänge mit. Denn auch hier gibt es eine Menge zu erzählen. Und Geschichten sind nun einmal Lutz DettmannsSpezialität.
Katja Haescher
Nathalie oder Das gestohlene
Lied, Lehmanns Media, ISBN
978-3-96543-256-7.