Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Dorfkirche von Lübow, die zu den ältesten Mecklenburgs gehört.
Die Wiege Mecklenburgs – sie befindet sich ganz in der Nähe der Lübower Kirche. Die slawische Mikelenburg im heutigen Dorf Mecklenburg, die zum Namensgeber eines ganzen Landes wurde, erzählt von slawischer Besiedlung und deutscher Kolonisation. Mit letzterer ging auch die Christianisierung des Landes einher. Pribislaw, Sohn des letzten Obotritenfürsten Niklot, ließ sich taufen und erhielt das Land seines Vaters als Lehen zurück. Natürlich musste der Fürst sein Christentum mit einer gewissen Außenwirkung präsentieren: Er stiftete das Kloster zu Doberan, das 1171 gegründet wurde und das ältes-te im Land ist. Bereits 1192 wurde in einer Bewidmungsurkunde aus eben diesem Kloster ein Priester Marsilius im Zusammenhang mit Lübow erwähnt. Somit ist davon auszugehen, dass es dort zu diesem Zeitpunkt bereits eine Kirche gab: Chor und Apsis des Lübower Gotteshauses datieren auf das Ende des 12. Jahrhunderts. Damit ist die Dorfkirche eine der ältesten Mecklenburgs und stammt aus der Anfangszeit der Christianisierung.
Eigentlich sollte sie groß werden: Geplant war eine dreischiffige Basilika, dem Rang des Geschlechts von der benachbarten Mikelenburg angemessen. Doch dann änderten sich die Rahmenbedingungen: Das fürstliche Geschlecht zog nach Schwerin und in Lübow wurde alles eine Nummer kleiner.
Dem Reiz des Bauwerks tut das keinen Abbruch. Noch heute erinnern Details an den Baubeginn auf der Schwelle von der Romanik zur Gotik, darunter das Schiffsportal, die Rundbogenfenster und ein Wappenfries, dessen Entstehungszeit bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Immer wieder wurde dem Zeitgeist entsprechend umgebaut, eine spätgotische Umgestaltung erfolgte im 15. Jahrhundert. Aus vorreformatorischer Zeit stammt die Triumphkreuzgruppe, die in Lübow noch an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort zu finden ist. Auf dem Balken im Triumphbogen hatte die Gemeinde den Kreuztod Jesu immer vor Augen – aber auch den damit verbundenen Triumph der Auferstehung.
Verbildlichungen wie diese finden sich in der Lübower Kirche aus verschiedenen Epochen. Für eine solche steht auch der Taufengel – oder besser gesagt: Er hängt. Dieses für das Barock typische Bildwerk stammt aus einer Zeit, in der es in den Kirchen voller wurde und der Platz für große Taufsteine oder Fünten knapp bemessen war. Eine hölzerne Figur in der Schwebe, die lediglich für die Zeremonie abgesenkt werden musste und sich ansonsten platzsparend mehrere Meter über dem Boden aufhielt, war vor diesem Hintergrund ein praktisches Ausstattungsstück. Gleichzeitig symbolisierte der Himmelsbote die Verbindung zwischen Himmel und Erde – 2006 konnte der Lübower Engel restauriert werden und wieder seinen Dienst aufnehmen.
Szenen aus dem Leben Christi zeigt der hölzerne Altar. Wer nicht lesen konnte – und das konnten viele nicht – las auch hier die Bilder. Bilder begleiteten die Gläubigen an den Türen des Sakramentsschranks mit einer Darstellung von Jesus Christus als Schmerzensmann, auf Grabplatten als Mahnung an die Vergänglichkeit und in den Wandmalereien. Jede Generation fügte etwas Neues hinzu und ließ etwas Altes verschwinden – manchmal auch nur unter Kalktünche. So erzählt die Kirche wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch von Religiosität und einem tief verwurzelten Christentum, von innerer Einkehr, Ritualen und von Gemeinschaft.
Katja Haescher