Kornspeicher in Klütz ist heute Literaturhaus, Stadtinformation, Bibliothek und Veranstaltungsort
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in das Uwe Johnson gewidmete Literaturhaus im ehemaligen Getreidespeicher in Klütz.
Die kleine Stadt im Klützer Winkel ist vor allem bekannt für ihr imposantes Schloss Bothmer. Doch das an der Ostseeküste zwischen Lübeck und Wismar gelegene Städtchen hat kulturell noch mehr zu bieten: Einen Besuch wert ist der zum Literaturhaus umgebaute Speicher.
Der wuchtige Backsteinbau, der 1890 errichtet wurde, beherbergt heute eine Dauerausstellung über Uwe Johnson, einen der bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Als örtliches Kulturzentrum integriert er zudem die Klützer Stadtinformation sowie die Bibliothek.
Nach langer Zeit des Leerstandes wurde der denkmalgeschützte Bau in zweijähriger Sanierung für die literarisch-kulturelle Nutzung umgebaut und im Jahre 2006 eröffnet. Mit neuen Betoneinbauten, wie u.a. dem Treppenaufgang und einem barrierefreien Aufzug, verbindet das Gebäude Moderne mit Tradition: Trotz umfangreicher Modernisierungsmaßnahmen konnte der industrielle Charakter des Speichers bewahrt werden. Sowohl Dach und Backsteinfassade, als auch die von der Holzbauweise geprägte Innenarchitektur mit ihren Dielenfußböden sowie den rustikalen Stütz- und Deckenbalken ist vollständig erhalten geblieben. Auch die historischen Kornschütten im Erdgeschoss, durch welche einst das eingelagerte Getreide abgelassen wurde, erinnern noch an die ursprüngliche Funktion.
Um den viergeschossigen Bau, der bis in die 1950er Jahre als Kornspeicher diente und zu DDR-Zeiten weiterhin als Lagerhaus genutzt wurde, wurde es nach der Wende zunehmend still. Die Nachnutzung des Speichers als Literaturhaus erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, denn üblicherweise befinden sich Literaturhäuser in den Geburts-, Wohn- oder Sterbehäusern der Literaten. Johnsons Biografie weist hingegen keinerlei Bezüge zu Klütz auf. Jedoch gibt es einen inhaltlichen Zusammenhang zu seinem Werk: Insbesondere in seinem Hauptwerk, dem vierbändigen Roman „Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl“, bildet die fiktive Stadt Jerichow einen Schauplatz des Geschehens.
Johnson entwickelte jene nach dem Vorbild mecklenburgischer Kleinstädte. Deutliche Parallelen zu Klütz aufweisend, steht Jerichow für das ländliche Mecklenburg seiner Zeit. Es ist die Heimat der Protagonistin des Romans und steht zugleich stellvertretend für die Heimat des im Pommerschen Cammin geborenen Autors selbst, der in Anklam und später in Güstrow aufwuchs, bevor er nach Westberlin und nachfolgend in die USA und England umsiedelte. In seinem Hauptwerk „Jahrestage“ – eine literarische Aufarbeitung deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts – blickt Johnson zurück auf die Weimarer Republik, das Dritte Reich und – als zentrales Thema seines Schaffens – auf das geteilte Deutschland, zugleich in die Gegenwart der 1968er Jahre in New York.
Die Dauerausstellung vermittelt auf zwei Etagen einen vielschichtigen Einblick in das Leben und Werk Johnsons. Die multimediale Ausstellungsarchitektur beinhaltet dazu verschiedene Stationen, welche u. a. Textpassagen aus seinen Schriften, Zeitungsartikel, Bildmaterial und Tonaufnahmen enthalten. Der Gang durch die ausgesprochen informative wie wohlgestaltete Ausstellung regt nicht nur Literaturkenner dazu an, sich ausführlicher mit Johnsons Werk zu beschäftigen.
Mit der literarischen Ausstellung, der Bücherei und zahlreichen Kulturveranstaltungen ist das Haus eine einzigartige Begegnungsstätte für Literaturfans. Am 22. März um 19 Uhr findet die nächste Lesung statt: In „Steile Hechte“ beschreibt der Autor Bernd Lingnau 61 wahre Kriminalfälle.
Laura Prüstel