Eines der ältesten Gebäude Grevesmühlens zeugt von einschneidenden Ereignissen der Stadtgeschichte
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: im „Alten Rathaus“ in der Grevesmühlener August-Bebel-Straße 1, das heute gar kein Rathaus mehr ist.
Nicht überall, wo Rathaus dransteht, ist auch ein Rathaus drin. In Grevesmühlen befindet sich in der
August-Bebel-Straße 1 ein Gebäude, das den Namen dennoch zu Recht trägt: Jahrhundertlang entschieden an dieser Stelle Ratsleute über die Geschicke der Stadt, sprachen Richter Urteile und nahmen Reisende manchen Schluck. Allerdings: An dieser Stelle heißt nicht immer in diesem Haus. Schuld daran waren die Wechselfälle der Stadtgeschichte, die in Grevesmühlen bereits bis ins Jahr 1226 zurückreicht. Damit gehört der Ort zu den ältesten Städten Mecklenburgs. Als slawische Siedlung entstanden, wurde „Grevesmulne“ im 13. Jahrhundert von deutschen Siedlern zur Stadt ausgebaut. Der Ort im Hinterland der Ostsee gedieh und hatte auch noch im 14. Jahrhundert eine Blütezeit. Vermutlich gab es zu dieser Zeit auch schon ein Rathaus auf der Südseite des Marktes – also ungefähr an dem Standort, an dem sich heute die Adresse August-Bebel-Straße 1 befindet. Vermutlich war es mehr oder weniger ein Multifunktionsgebäude, das neben Ratsstube, Kämmerei und Gericht auch eine Trinkstube und einen Verkaufsraum für Fleisch beherbergte und 1563 abbrannte. Lediglich die Kellergewölbe überstanden das Feuer, so dass hier von mittelalterlichen Strukturen auszugehen ist. Philipp Brandin übernahm nun die Aufgabe des Neubaus. Der Niederländer war ein renommierter Architekt, der beispielsweise die Wasserkunst für Wismar entworfen hatte. 1585 war das Rathaus fertig. Zu dieser Zeit hatte in Grevesmühlen bereits ein wirtschaftlicher Niedergang eingesetzt, der vom Zerfall der Hanse und dem damit einhergehenden Rückgang des Landhandels bedingt wurde. Der 1618 beginnende dreißigjährige Krieg und ein Großfeuer taten ein Übriges: Am 15. Juni 1659 brannte Grevesmühlen und auch das gerade einmal ein Dreivierteljahrhundert alte Rathaus
wurde ein Opfer der Flammen.
Nummer 3 wurde gebraucht – und schließlich auch gebaut. 1715 entstand an gleicher Stelle wieder ein Rathaus, vermutlich nach den alten Plänen von Nummer 2. Das Gebäude ist ein zweigeschossiger Putzbau mit Walmdach, der auf den Resten des abgebrannten Vorgängerbaus errichtet wurde. Auffällig sind eine Laube an der Schmalseite zum Markt, die bei der Restaurierung in den 1990er-Jahren wieder hevorgehoben wurde, und drei Wappen
über dem Hauptportal. Links ist dort das einstige Grevesmühlener Stadtwappen zu sehen, das 1897 aufgegeben wurde und zuvor seit 1350 nachweislich in Gebrauch war. Somit dokumentiert das Gebäude auch eine heraldische Tradition – stammt doch die Wappendarstellung aus dem 16. Jahrhundert und überstand den großen Stadtbrand Zum „Alten Rathaus“ wurde das Walmdachhaus, als die Stadtverwaltung auszog und das Amtshaus zum Rathaus wurde. Das Gebäude stand eine Zeitlang leer, bevor es dann unter anderem mit Hilfe von Städtebaufördermitteln
saniert wurde.
Seine wechselvolle Geschichte nehmen kleine Kunstwerke auf, die der Bildhauer Wolfgang Friedrich im Jahr 2000 für Geländer und Türgriff schuf und die unter anderem Katastrophen wie den großen Stadtbrand thematisieren. Heute werden in dem Haus süße Träume wahr: Seit Anfang Juni lockt in den Lauben an der Schmalseite
Jannys Eis alle Leckermäuler; die Kellerräume könnten perspektivisch für Musikveranstaltungen genutzt werden. Ins Ober- und Dachgeschoss ist im vergangenen Jahr die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landkreises Nordwestmecklenburg eingezogen; gute Gedanken und leibliche Erfrischung sind also wie schon im Mittelalter im alten Grevesmühlener Rathaus zu finden.
Katja Haescher