Kirch Stück trägt Namen nicht ohne Grund: Schon im 12. Jahrhundert ist von einer Kirche die Rede
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken.
Diesmal: in der Kirche in Kirch Stück, die als plattdeutsches Zentrum überregionale Ausstrahlung hat.
Vielleicht ist nicht jeder hundertmal vorbeigegangen. Vorbeigefahren aber bestimmt – die Kirche von Kirch Stück steht direkt an der Bundesstraße zwischen Schwerin und Wismar. Und es lohnt sich, einmal anzuhalten: Der Kirchenraum birgt nicht nur Kunstschätze und Geschichte, sondern ist auch ein Ort tiefer Spiritualität. Zwischen zwei Seen erhebt sich der Turm aus Backstein. Hier in der Niederung soll sich bereits eine slawische Siedlung befunden haben – auf halbem Wege zwischen den Burgen in Schwerin und Dorf Mecklenburg. Im 12. Jahrhundert wird dann bereits ein Kirchenstandort erwähnt. Damit reicht die Geschichte eines Gotteshauses in Kirch Stück bis in die Zeit des Dombaus zu Schwerin – jetzt hatte sich das Christentum im Nordosten endgültig etabliert.
Bau und Ausstattung lassen noch heute die Bedeutung von „Kerkstuke“ erahnen. Im mittelalterlichen Chor, dem ältesten Teil des Gebäudes, befindet sich ein Glasfenster aus dem 14. Jahrhundert, das zu den ältesten Kirchenfenstern Norddeutschlandsgehört und den wohl größten Schatz der Kirche darstellt. Es zeigt einen Ritter mit Schild und Lanze, der als Darstellung des Heiligen Georgs gedeutet wird. Ihm ist die Kirche geweiht – dafür sprechen eine Georgsglocke oben im Turm und die Darstellung auf dem Altar, die den Drachtentöter bei der Arbeit
zeigt.
Gerade den Georg wollten viele Helfer unter ihre Fittiche nehmen, als der Altar saniert und Paten für die Figuren gesucht wurden. „Sogar das Georgskrankenhaus in Hamburg hatte angefragt“, erinnert sich Jürgen Hansen, der dem Förderverein vorsteht. Diesem Förderverein und seinen vielen Unterstützern ist es auch zu verdanken, dass nicht nur der Altar aus dem 15. Jahrhundert, sondern die ganze Kirche gerettet werden konnte. So führen die Heutigen ein Werk fort, das Menschen in Kirch Stück über den Lauf von Jahrhunderten vereint. Wer zurückblicken
möchte, ist allerdings mit einer schwierigen Quellenlage konfrontiert: Ein Großteil der Unterlagen wurde beim Schweriner Archivbrand im 19. Jahrhundert zerstört.
Die jüngste Bauzeichnung, die aktuell existiert, stammt deshalb aus den 1930er-Jahren. Jüngster Bestandteil des mittelalterlichen Baus ist das Schiff, das im 19. Jahrhundert neu aufgemauert wurde. Jetzt machte die Neogotik alles noch ein bisschen spitzer: „Wir finden im Schiff die für das 19. Jahrhundert typischen Fenster“, sagt Sigrid
Hagenguth, eine versierte Kirchenführerin. Damals wurde das Schiff auch schmaler – jeweils ein Meter ging zu den Seiten verloren. Dafür machten die Restauratoren des 19. Jahrhunderts den Turm höher, ein Eingriff, der bei der Sanierung im 21. Jahrhundert korrigiert wurde. Inzwischen erklingt auch wieder ein dreistimmiges Glockengeläut vom Turm. Noch vor zehn Jahren herrschte hier Stille, weil die wertvolle Georgsglocke aus dem 14. Jahrhundert wegen einer Rissbildung nicht bewegt werden durfte.
Heute ist nicht nur der Glockenstuhl restauriert, mit dem Neuguss von zwei Glocken konnte das Geläut im vergangenen Jahr wieder komplettiert werden.
Und fast könnten die schwingenden Glocken symbolisch für die Bewegung stehen, die in den zurückliegenden Jahren in die Kirch Stücker Kirche gekommen ist: Der Turmraum kann für Versammlungen genutzt werden, durch eine Glastür fällt der Blick dabei ins wunderbar sanierte Innere des Gotteshauses. Dort ist mit einem Podest vor dem Altar ein Bühnenraum entstanden, der einer weiteren Funktion Rechnung
trägt: Als plattdeutsches kirchliches Zentrum gibt das Gotteshaus der plattdeutschen Sprache besonderen Raum, zu den plattdeutschen Gottesdiensten kommen zahlreiche weitere Veranstaltungen.
Katja Haescher