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Größe in Backstein

Sternberger Stadtkirche erzählt aus der Geschichte einer Region – von Wallfahrt bis Reformation

Von der Aussichtsplattform des Turmes bietet sich aus 55 Metern Höhe ein wunderbarer Blick auf die Umgebung. Foto: Katja Haescher

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Stadtkirche Sternberg, in deren Historie ein Herzog mit Ambitionen, Wallfahrten und die Reformation eine Rolle spielten.

Warum hat ein so kleiner Ort eine so große Kirche? Diese Frage hört Kirchenführerin Mechthild Quade immer wieder. Die Antwort beginnt mit einer verpatzten Hochzeit: Als Herzog Heinrich II. im Jahr 1308 seine Tochter in Wismar verheiraten wollte, blieben ihm dafür die Stadttore verschlossen. Kurzerhand zog er die Sache in Sternberg durch – und machte die Stadt danach zu seiner Residenz. Zeugnis dieser Zeit ist die Stadtkirche, die zwischen 1309 und 1321 entstand und vom Ehrgeiz eines Fürsten zeugt.

50 Meter lang und 25 Meter breit zeigt sich das Gotteshaus im Innern als dreischiffige Hallenkirche, deren 66 Meter hoher Turm einen wunderbaren Blick aufs Sternberger Seenland ermöglicht. „Am schönsten ist der Ausblick, wenn der Raps blüht“, sagt Mechthild Quade – die Mühsal der 180 Stufen ist dann schnell vergessen.

Wer vom Turm kommend die Kirche betreten möchte, legt zuerst den Kopf in den Nacken. Nur so gelingt der Blick auf das monumentale Bild von Fritz Greve, das in der Turmhalle die Wand über dem Eingang schmückt. Es entstand Ende des 19. Jahrhunderts und zeigt – historisierend nach der Mode der Zeit – den Landtag an der Sagsdorfer Brücke. 1549 wurde dort die Reformation für Mecklenburg verkündet.

Referenz auf dieses Ereignis nehmen auch andere Ausstattungsstücke in der Stadtkirche. So zeigt ein Glasfenster an der Südseite den Reformator Martin Luther, flankiert von den Herzögen Heinrich V. und Johann Albrecht I. – letzterer setzte im Land die Reformation durch.

So lange zurück reicht die Geschichte der Fenster allerdings nicht. Sie stammen von 1895, aus dem Jahr, in dem die bis dato vorletzte große Kirchenrenovierung stattfand. Damals war der Innenraum neogotisch ungestaltet worden. Zwei weitere wichtige Ereignisse liegen in den Jahrhunderten zuvor, wobei das Jahr 1492 mit einer dunklen Episode verbunden ist. In jenem Jahr wurden Sternberger Juden von einem Priester beschuldigt, Hostien durchbohrt zu haben, worauf diese nicht aufgehört hätten zu bluten.

Es kam es zu einem Pogrom, 27 Menschen starben auf dem Scheiterhaufen. In der Folge mussten alle Juden das Land verlassen, ihre Vermögen wurden von den Mecklenburger Herzögen eingezogen. Neben ihnen profitierte auch die Kirche: In Sternberg präsentierte man fortan die angeblich wundertätigen Hostien, was für einen stetigen Pilgerstrom sorgte. „Auf alten Karten war der Ort damals genauso groß eingezeichnet wie Jerusalem und Rom“, sagt Mechthild Quade.

Nur zwei Jahre nach dem Pogrom wurde die so genannte Heilig-Blut-Kapelle an die Kirche angebaut. Heute gibt diese einem Kunstwerk von Wieland Schmiedel Raum: ein schwebendes Kreuz, das von einem Pendel an der Decke hängt und einen Abdruck in einem auf dem Boden liegenden Tuch hinterlassen hat. „Stigma“ lautet der Name des Kunstwerks, das für die Wunden steht, die den Juden zugefügt wurden. Neben der Kapelle ein Gedenkstein mit dem fünften Gebot: Du sollst nicht töten. Es gibt also nicht nur viel zu sehen, es gibt auch viel zu denken bei einem Besuch der Sternberger Stadtkirche.

1751 ist eine weitere wichtige Jahreszahl in der Historie des Gebäudes: Damals war das Gotteshaus nach dem letzten großen Stadtbrand 1741 wieder aufgebaut worden – maßgeblich vorangetrieben von
David Franck. Das Gemälde des Rektors und Predigers hängt unter der Orgelempore.

Und apropos Orgel: Mit ihrem Ins­trument beherbergt die Stadtkirche einen besonderen Schatz. Die Walcker-Orgel von 1895 ist ein Geschenk des gebürtigen Sternbergers Julius Heinrich Zimmermann, der es unter anderem als Hersteller von Musik­instrumenten zu Wohlstand gebracht hatte. Sie ist eines von nur drei Instrumenten einer Baureihe, deren andere Orgeln in der Frankfurter Peterskirche und im Petersdom im Vatikan standen. Und in einem Kirchenraum, dessen Akustik bis zu sechs Sekunden Nachhall ermög­licht, entfaltet sie noch heute ihren schönsten Klang.

Katja Haescher

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