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Ein Haus vom Feinsten

Willkommen bei Schabbells: Im stadtgeschichtlichen Museum Wismar ist das Gebäude Exponat

Museum Wismar
Das Schabbellhaus mit dem gedrehten Giebel Foto: Christoph Meyer

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in Wismar, wo an der Schweinsbrücke 6 und 8 zwei Häuser zum stadtgeschichtlichen Museum zusammengewachsen sind.

Kaufmann, Brauer, Ratsherr, später Bürgermeister: Heinrich Schabbell war in seiner Heimatstadt Wismar ein einflussreicher Mann. Und jeder sollte es sehen: Wohl auch deshalb griff er tief in die Tasche, als er sich mit Blick auf die Nikolaikirche ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus errichten ließ.

450 Jahre später zieht das Gebäude immer noch die Blicke auf sich. Um so mehr, als nach siebenjähriger Res­taurierung hier seit 2017 das stadtgeschichtliche Museum mit einer neu konzipierten Ausstellung und deutlich mehr Platz einlädt. Denn zum ursprünglichen Museumssitz an der Schweinsbrücke 8 ist das Haus Nummer 6 hinzugekommen. Das passt auch historisch: Heinrich Schabbell kam durch die Heirat mit Anna Dargun in den Besitz dieses Gebäudes und des darauf liegenden Brauprivilegs. Zwischen 1569 und 1571 ließ er daneben das Haus an der Schweinsbrücke 8 errichten.

„Und so sind die Häuser selbst bei uns Exponate“, sagt Museumsleiterin Corinna Schubert. Eine der angebotenen Führungen führt quer durch die beiden Gebäude zu den „Häusern des Heinrich Schabbell“. In der Zeit geht es dabei sogar weiter zurück als bis in die Renaissance, in der der Hausherr lebte. Denn die Nummer 6 – ein Dielenhaus mit Kemladen – entstand bereits im 14. Jahrhundert. Auf 1364 datiert das dendrochronologische Gutachten den Dachstuhl, der noch genauso zu besichtigen ist wie die Kellerwände aus dem Mittelalter. Um den Spaziergang durch die Zeit noch spannender zu machen, stehen neben Originalbefunden so genannte „Erklär-Stelen“, mit deren Hilfe Besucher selbst durch die Geschichte navigieren können.

Ebenfalls zum Konzept des Museums gehört, dass alle Räume vom Keller bis zum Dach geöffnet sind. Der Weg führt von einem Haus ins andere und wieder zurück, vom ältes­ten Gebäudeteil mit Kemladen über einen neuen, modernen Verbindungstrakt in den repräsentativen Seitenflügel bis ins Giebelhaus der Renaissance.

Apropos Giebel: Den ließ Schabbell – entgegen dem Lübischen Baurecht – kurzerhand in Richtung Nikolaikirche drehen, anstatt ihn neben dem bereits vorhandenen der Nummer 6 auszurichten. „Das ist nur eines von vielen Dingen, die an diesem Haus ungewöhnlich sind“, sagt Corinna Schubert. So beauftragte der Bauherr mit Philipp Brandin auch einen ausländischen Meis­ter. Der Niederländer hatte bereits in fürstlichen Diensten gestanden und brachte neben modernsten Auffassungen so jede Menge Pres­tige mit. Brandin, der später die Wismarer Wasserkunst konzipierte, nutzte Vorlagebücher, die gerade drei Jahre zuvor erschienen waren.

Für die Außenfassade verwendete er anstelle der großen, einheimischen Backsteine im Klosterformat zierlichere, in Holland gebräuchliche Abmessungen. Mit Schmuckfriesen aus gotländischem Sandstein und dem schwarzen Schieferdach musste dieses Haus einfach auffallen – und dank des gedrehten Giebels konnte es auch jeder in voller Pracht sehen, der vom Poeler Tor der Lübschen Straße als wichtigster Ost-West-Verbindung zustrebte.

Heute ist das ganze Ensemble eine Schatzkiste, die viel verrät. Von der Geschichte Wismars, vom Mittelalter bis in die Neuzeit, von Handwerkstraditionen und Wohnverhältnissen. So leistete sich Schabbell zum Beispiel eine innenliegende Wendeltreppe. Und auch der Abort­schacht ist erhalten, dessen verzierte Öffnungen verraten, dass vermutlich kein Vorhang den Blick auf den Toilettennutzer versperrte.

Am 31. Dezember 1600 starb Heinrich Schabbell. Bis 1701 blieb das Gebäudeensemble im Besitz seiner Familie, die Nummer 8 war bis 1924 Brauhaus. 1933 zog das bereits 1863 gegründete kulturhistorische Museum Wismars ein und einige Jahre später wieder aus, bis es dann 1950 erneut seinen Platz an der Schweinsbrücke erhielt und seitdem hier geblieben ist. Katja Haescher

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