Das Kulturhaus Mestlin sollte einst Herz eines sozialistischen Musterdorfs sein – und blüht neu auf
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: im Kulturhaus Mestlin, das von der Geschichte des einstigen sozialistischen Musterdorfs erzählt.
Wenn das Wort „Koloss“ zu einem Gebäude passt, dann zu diesem. Es wäre für keine Großstadt zu klein, steht aber in Mestlin, da, wo sich eine leicht holprige Dorfstraße zum Marx-Engels-Platz öffnet.
Das Kulturhaus ist vielerlei. Ein Erbstück. Ein Denkmal, sogar eines von nationaler Bedeutung. Ein Haus, das sich auch heute noch für Veranstaltungen eignet – Platz ist da. Gerade an diesem Wochenende – vom 15. bis 17. November – findet hier der Kunsthandwerkermarkt „hinterland“ statt.
Um mit dem Erbstück zu beginnen: Anfang der 1950-er Jahre beschloss die DDR den Ausbau so genannter sozialistischer Musterdörfer. Ziel war, in Stadt und Land gleiche Lebensbedingungen zu schaffen. Dazu musste die Chance gehören, sich als sozialistische Persönlichkeit auch kulturell umfassend zu bilden. Zwischen 1954 und 1957 entstand zu diesem Zweck das Kulturhaus im Stil des Neoklassizismus, auch sozialistischer Klassizismus oder Stalin-Barock genannt. Architekt war Erich Bentrup, aus dessen Skizzenbuch auch das Schweriner Kino Capitol stammt. Mit dem großen Walmdach und dem zum Marx-Engels-Platz vortretenden Mittelrisalit ist das 57 Meter lange Gebäude einem Gutshaus nicht unähnlich – eine ironische Fußnote vor dem Hintergrund, dass hier die „Überlegenheit des Sozialismus“ demonstriert werden sollte.
Damit kommt auch das Denkmal Mestlin ins Spiel, zu dem nicht nur das Kulturhaus, sondern das gesamte Ensemble um den Marx-Engels-Platz gehört. Dort waren zwischen 1954 und 1962 weitere Gebäude – darunter Schule sowie Häuser mit Wohnungen und Geschäften – entstanden. Kurze Wege zum Arzt und zum Einkaufen, zum Friseur, ins Restaurant und ins Konzert sollten den Dorfbewohnern ähnliche Annehmlichkeiten wie in der Stadt gewähren. Mehrere hundert dieser Musterdörfer plante der junge Arbeiter- und Bauernstaat. Am Ende wurde nur Mestlin realisiert, weshalb der Marx-Engels-Platz mit seinen Bauten heute steingewordenes Zeugnis dieser sozialistischen Utopie ist. Das Ensemble steht bereits seit 1977 unter Denkmalschutz und wurde wegen seiner Einmaligkeit 2011 als Denkmal von nationaler Bedeutung eingestuft.
Mittendrin das Kulturhaus, dessen Kernstück der große Saal mit Bühne und Orchestergraben ist. Jugendweihen und Erntefeste, Tanz, Kino und Konzerte fanden hier statt, Bands wie Karat aus der ersten Riege der DDR-Rockmusik traten auf. Die Veranstaltungen lockten im Jahr 50.000 Besucher. Daneben gab es noch einen kleinen Saal und Räume für Gastronomie und Arbeitsgemeinschaften, ein Hörstudio und Büros.
Mit der Wende änderte sich alles. Das Kulturhaus wurde jetzt Großraumdisko. Ein Betreiber ließ dafür die Wände im Innern schwarz streichen – auch die Decken. Der Nächste ließ fuhrenweise Sand in den Saal karren, um Flair für Beachpartys zu schaffen. Zahlreiche Einrichtungsgegenstände und ein großer Teil der Ausstattung verschwanden während dieser Episode. Das Kulturhaus war jetzt in einem noch bedenklicheren Zustand als zum Ende der DDR.
Aber es gab Menschen, die es nicht aufgeben wollten. Ende der 1990er-Jahre fand sich ein erster Förderverein zusammen, der zum Beispiel die Dachsanierung auf den Weg brachte. 2008 gründete sich der Verein „Denkmal Kultur Mestlin“, der 2017 für sein Engagement mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz geehrt wurde.
Es gibt wieder Veranstaltungen, ambitionierte Ausstellungen, Gedankenaustausch. Damit hat sich eines in den mehr als 60 Jahren des Bestehens nicht geändert: Kultur hat einen Platz mitten im Leben.
Katja Haescher