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Das Haus des Barbiers

Deutsches Haus in Rehna ist eins der ältesten kleinstädtischen Fachwerkgebäude Mecklenburgs

Der Ursprungsgiebel mit den dekorativen Fächerrosetten ist noch heute in der Fassade erkennbar. Foto: Katja Haescher

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Gletzower Straße in Rehna, wo das „Deutsche Haus“ die Blicke der Vorüberfahrenden auf sich zieht.

Schere und Barbiermesser sind sorgfältig in den Balken geschnitten. Hans Seehase, der hier in Rehna „in Gottes Gnade“ ein Haus bauen ließ, war Wundarzt und Barbier. So richtig ließen sich diese Berufe im
16. Jahrhundert nicht trennen: Beide mussten mit dem Messer umgehen können und Barbiere rasierten nicht nur, sondern kümmerten sich auch ums Zähneziehen, den Aderlass und die Versorgung von Wunden. Hans Seehase musste es zu einigem Wohlstand gebracht haben, denn der reiche Holzzierat in der Fassade des Fachwerkbaus war sicher von keinem armen Schlucker in Auftrag gegeben worden.

Heute gehört das so genannte Deutsche Haus in Rehna zu den ältesten kleinstädtischen Fachwerkhäusern Mecklenburgs – und zweifellos auch zu den schönsten. 500 Jahre hat es auf dem Buckel – oder muss man bei Häusern sagen auf dem Gebälk? Das zumindest gibt Auskunft über das wahre Alter: Ein dendrochronologisches Gutachten datiert die Entstehung des Fachwerkbaus ins 16. Jahrhundert. Dies betrifft allerdings nur den ältesten Teil des Hauses, dessen ursprünglicher Giebel sich noch heute im Fachwerk der Vorderfront abzeichnet. Nachfolgende Generationen brauchten mehr Platz, so dass das Haus rund 100 Jahre nach seiner Errichtung verbreitert wurde und eine vorspringende, so genannte „Utlucht“ bekam.

Wenn sie in diesem „Ausguck“ Platz nimmt, ist Rebekka Duge davon überzeugt, den schönsten Arbeitsplatz der Stadt zu haben. Bis zum Rehnaer Marktplatz reicht der Blick aus der heutigen Stadtbibliothek – sicher ein Grund für den Anbau, der möglicherweise auch modischen Erwägungen der Zeit folgte.

In der Liste der Bewohner, die auf Hans Seehase folgten, gibt es einige weiße Flecken. Fest steht, dass ein Johann Kassow dazugehörte – er hinterließ seinen Namen in der Inschrift über der Eingangstür. Das war im Jahr 1750.
Später war das Deutsche Haus Schmiede und Ausspanne. Die Familie Grevismühl, die hier zusammen mit Angestellten lebte, betrieb außerdem einen Ausschank. „Das bot sich ja auch an, wenn jemand zum Beispiel auf sein Pferd warten musste“, sagt Rebekka Duge, Chefin der Rehnaer Bibliothek. Möglicherwiese leitet sich aus dieser Gastronomie-Episode auch der heute gebräuchliche Name des Gebäudes ab. Mehrere Gastwirtschaften und Hotels in ganz Deutschland tragen den Namen „Deutsches Haus“.

Ob es Grevismühls in dem immer wieder erweiterten und verschachtelten Fachwerkbau bequem hatten – wer weiß. Während die Ausfachungen der hohen Diele heute weiß gekalkt sind, waren die Farbfassungen früherer Jahre dunkel – sicher auch vom Ruß der Schmiede. Berühmte Gäste sind ebenfalls überliefert: Der Martensmann, der einmal im Jahr mit einem Fass Rotspon von Lübeck nach Schwerin reist, soll bei seiner Übernachtung in Rehna im Deutschen Haus geschlafen haben. Zu DDR-Zeiten lebten sogar mehrere Familien in den teils winzigen Stuben des Fachwerkbaus.

Nach der Sanierung 2004 ist die Stadtbibliothek ins Deutsche Haus eingezogen. Rebekka Duge genießt das historische Flair. Und sie vergisst auch nicht, Besucher beim Betreten der Anmeldung ans Kopf-Einziehen zu erinnern: Die Türöffnung hat noch die Höhe aus der Zeit Hans Seehases. 

Katja Haescher