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„das Lego unter den Sprachen“

André Weber ist begeistert von Esperanto und plaudert mit Gleichgesinnten im Schweriner Klub

André Weber usammen mit seiner Nichte  hier am Itsukushima-Schrein auf der Insel Miyajima
Esperanto hat André Weber bereits um die Welt geführt. Zusammen mit seiner Nichte und begleitet von japanischen Esperanto-Freunden entdeckte er im vergangenen Jahr Japan, hier am Itsukushima-Schrein auf der Insel Miyajima. Foto: privat

„Welche Sprache hat er gesprochen?“, fragt Novize Adson in „Der Name der Rose“ nach der ersten Begegnung mit dem Mönch Salvatore und sein Meister William von Baskerville antwortet: „Alle – und keine.“
Keine – das würde André Weber im Falle von Esperanto nicht gelten lassen. Es ist, wenngleich eine Plansprache, ein lebendiges Konstrukt; eine Sprache, die sich entwickelt, die wächst und die zwischenmenschliche Kommunikation ermöglicht. Alle – das stimmt schon eher. Denn es ist eine Sprache, die sich bei vielen anderen bedient, die aus dem Lateinischen und weiteren romanischen Sprachen genauso entlehnt wie aus germanischen und slawischen.

„Shverino estas bela urbo.“ Das bedeutet „Schwerin ist eine schöne Stadt.“ Und zwar eine, in der auch Esperanto gesprochen wird. Es gibt einen Klub mit mehreren Mitgliedern und mit der Esperanto-Pionierin Marie Hankel sogar eine lange Geschichte. André Weber ist Vorsitzender des Schweriner Klubs und seit 40 Jahren Teil der großen Esperanto-Sprachfamilie. Wikipedia beziffert deren Größe übrigens mit mehr als einer Million Sprechenden. Esperanto-Wikipedia – oder besser gesagt Vikipedio – steht mit 350.000 Artikeln auf Platz 37 der Sprachversionen der Online-Enzyklopädie.

Webers Weg zum Esperanto erscheint in der Rückschau folgerichtig. Der gebürtige Thüringer hatte sich schon als Schüler über die vielen Ausnahmen und Sonderformen in zu lernenden Sprachen geärgert – und auch darüber, dass die Vokabeln oft nicht besonders alltagstauglich waren. Das merkte er auf einer Reise nach Moskau und Jaroslawl. „Ich habe in einer Teestube Tee und Gebäck bestellt, konnte aber die Rückfrage der Kellnerin nicht verstehen. Ich hätte auf Russisch über Lenin, die Oktoberrevolution und die Raumfahrt sprechen können, konnte aber nicht sagen, ob ich meine Pastete mit Fleisch oder mit Kohl möchte“, erzählt der heute 66-Jährige. Einige Jahre später traf er jemanden beim Vokabellernen an und erhielt auf seine Frage, welche Sprache das sei, die Antwort: Esperanto.

Die Plansprache geht auf den Arzt Ludwik Zamenhof zurück, der in Białystok aufwuchs – einer Stadt, in der Menschen verschiedener Ethnien lebten und oft miteinander auf Kriegsfuß standen. Zamenhofs Idee war nun, dass eine neutrale Sprache für alle hier möglicherweise einen Beitrag zu einem besseren Verständnis leisten könnte. 1887 veröffent­lichte er die erste Broschüre zu den Grundlagen von Esperanto.
Ein weiteres Ziel von Zamenhof: Die Sprache sollte leicht erlernbar sein. André Weber kann das bestätigen. „Ich habe in eineinhalb Jahren mehr Esperanto gelernt, als ich nach acht Jahren Russisch konnte“, sagt er. Die Grammatik beschränkt sich auf das Notwendigste und erspart Lernenden damit Sonderformen und grammatikalische Spitzfindigkeiten. „Wer meint, Englisch sei einfach, hat die drei Formen der Konditionalsätze nie kennen gelernt“, sagt Weber.

Dennoch lernte er während seines Chemiestudiums in Merseburg erst einmal Arabisch – sein Zimmergenosse kam aus dem Jemen. Allerdings konnte er es kaum anwenden – außer einmal auf dem Hamburger Hauptbahnhof, als er in einem Imbiss einen Tee mit Zucker auf Arabisch bestellte und diesen prompt geschenkt bekam. 1984 besuchte André Weber den ersten Esperanto-Kurs an der Volkshochschule und ist seitdem der Sprache treu. Esperanto hat ihn bereits um die Welt geführt. Überall gibt es Gleichgesinnte. In Ungarn hat er sie genauso getroffen wie in Finnland und Japan – übrigens alles Länder mit Ethnosprachen, die sich Sprachschülern nicht ohne Weiteres erschließen. Mit Esperanto kann sich André Weber innerhalb der Community überall verständigen und vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass lange vor Gründung des Netzwerks Couchsurfing das Netzwerk Pasporta Servo
(www.­pasportaservo.org) gegründet wurde.

In mehr als 80 Ländern finden Esperanto-Sprecher darin Gastgeber, bei denen sie kostenfrei übernachten dürfen. Auch in Schwerin ist in diesem Netzwerk eine Adresse zu finden – die von André Weber. Ende Juli bekommt er Besuch aus Yokohama. Es ist ein Gegenbesuch, denn im vergangenen Jahr war der Schweriner in Japan zu Gast, erlebte Tokio, Hiroshima, die Insel Miyajima. „Überall, wo wir hinkamen, standen Esperantofreunde bereit. Auf diese Art konnten meine Nichte und ich das Land ganz anders entdecken als aus einem Reisebus mit Dolmetscher“, sagt er.

Die Vernetzung erfolgt aber nicht nur sortiert nach Ländern, sondern auch nach Interessen. „Es gibt ganz skurrile Gruppen wie Teefreunde und Katzenliebhaber“, sagt der Schweriner. Und einmal im Jahr kommt die Einladung zum Esperanto-Weltkongress: Seit 1905 richtet der Esperanto-Weltbund die Veranstaltung aus. Die Schwerinerin Marie Hankel war Mitorganisatorin des 4. Weltkongresses 1908 in Dresden. André Weber hat bereits einige Weltkongresse erlebt, darunter in Reykjavik, Montreal und im finnischen Lahti. Zur 109. Auflage ging es im vergangenen Jahr erstmals nach Afrika, nach Arusha in Tansania. Ende Juli packt Weber wieder die Koffer. Weltkongress ist dieses Jahr im tschechischen Brno. Übrigens reist er wenn möglich mit dem Zug an, vom „Canadian“ kann er genauso erzählen wie vom Shinkansen. Aber das ist schon wieder eine neue Geschichte.
Katja Haescher

www.esperanto-sn.de