Das frühere Zentrum jüdischen Lebens ist heute Museum, Begegnungsstätte und Veranstaltungsort
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: die Alte Synagoge Hagenow.
Im Jahr 1820 war die jüdische Gemeinde in Hagenow so groß geworden, dass der bereits seit 1781 bestehende Betraum nicht mehr reichte und die Gemeinde eine eigene Synagoge benötigte. So erwarb der Gemeindevorsteher Hirsch Samuel Meinungen 1820 ein Gartengrundstück in der damals nur sehr wenig bebauten Hagenstraße. Auf dem kleinen Stück Land sollte nun die Synagoge entstehen, ergänzt durch eine Wagenremise sowie ein Schul- und Gemeindehaus inklusive Lehrerwohnung. Dabei galt aber zu beachten, dass seinerzeit die jüdischen Gebetshäuser nicht an eine Straße grenzen durften. Der Plan sah daher vor, das Gemeinde- und Schulhaus direkt an die Straße zu bauen und die Synagoge dahinter. Den Antrag auf Baugenehmigung stellte die Gemeinde entsprechend. Erst 1822, zwei Jahre später, wurde die Erlaubnis erteilt. Am 15. August 1828 wurde die Synagoge, wie die anderen beiden Häuser ein schöner Fachwerkbau, endlich eröffnet.
Bis 1907 war der Ort Zentrum des jüdischen Lebens in Hagenow. In jenem Jahr fand der letzte Gottesdienst statt, nachdem kurz zuvor der letzte Lehrer Marcus Juda gestorben war. Die Gemeinde erhielt die Immobilie trotz knapper Mittel jedoch weiterhin.
In der Pogromnacht 1938, ein Jahr nach dem Tod von Samuel Meinungen, zertrümmerten die Nazis die Inneneinrichtung der Synagoge fast vollständig. Nach der Enteignung der jüdischen Gemeinde wurde die Synagoge 1942 an ein NSDAP-Mitglied zwangsverkauft. Er ließ die Gebäude in den Folgejahren mehrfach umbauen und vermietete Teile der Immobilie an eine Nährmittelfirma. Zu DDR-Zeiten befand sich auf dem Synagogengelände zunächst eine Eierannahmestelle und später der Sitz der Bäckergenossenschaft. 1969 gingen Grundstück und Bauten in Volkseigentum über und wurden 1982 unter Denkmalschutz gestellt.
Anfang der neunziger Jahre übernahm die Jewish Claims Conference das Synagogenensemble, 2001 kaufte die Stadt Hagenow der Claims Conference die leerstehenden, verfallenden Gebäude ab.
Das war der Startpunkt für die Neubelebung: An der Langen Straße 79 sollte ein Kulturzentrum entstehen. Zuvor mussten alle drei Bauten saniert werden. Dies kostete Aufwand – und Geld: 1,2 Millionen Euro. Die Restaurierung wurde aus unterschiedlichen Quellen finanziert. Land, Kreis und Stadt leisteten ihren Beitrag, ein großer Teil des Geldes setzte sich aber auch aus Spenden zusammen.
Gearbeitet wurde ab Januar 2006 in drei Bauabschnitten (Vorarbeiten aber schon ab 2004): zuerst die Wagenremise, dann das Haupthaus und zuletzt das Schulhaus. Der Wittenburger Architekt Marcel Rafi Bakhsh leitete die Restaurierung baufachlich. Die sanierte frühere Synagoge selbst wurde im September 2007 mit einem Konzert von Daniel Hope und Alexander-Sergei Ramirez eröffnet.
Im April 2009 war das Schulhaus fertig. Hier wurde während der Arbeiten übrigens die Mikwe wiederentdeckt, ein rituellen Zwecken dienendes Tauchbad. Heute beherbergt dieser Bau die Ausstellung „Spuren jüdischen Lebens in Hagenow und Westmecklenburg“. Zu Ehren der Enkelin von Samuel Meinungen, die 1942 im Alter von zwei Jahren nach Auschwitz deportiert wurde, heißt das Gebäude seit 2010 Hanna-Meinungen-Haus. Die Alte Synagoge ist heute Teil des Museums Hagenow, sie wird für Kulturveranstaltungen und als Begegnungsstätte genutzt.
S. Krieg