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Ein Fürstenhof in Terrakotta

Palazzo Roverella in Ferrara diente als Inspiration für die Gestaltung des heutigen Amtsgerichts

Bis 1743 waren der Fürstenhof und die St.-Georgen-Kirche durch einen Gang miteinander verbunden.
Fotos: Laura Piontek

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: der Wismarer Fürstenhof, das eindrucksvolle Architekturdenkmal in Terrakotta.

Im Jahr 1271 begab sich Fürst Heinrich I., Regent von Mecklenburg und auch bekannt als „Der Pilger“, auf eine Pilgerreise ins „Heilige Land“. Auf dem Weg wurde er jedoch abgefangen und verbrachte die darauffolgenden 25 Jahre in Gefangenschaft in Kairo. Bei seiner Rückkehr nach Wismar sah er sich durch eine Stadtmauer ausgegrenzt und bat um Einlass. 1329 wurde ihm dann schließlich ein Sitz in Wismar zugewiesen: Am Ende der Mecklenburger Straße, zwischen St. Georgen und St. Marien. Die Bebauung dieses Landstückes unterlag jedoch einer Bedingung. Der Herzog dürfe seinen Hof mit einer Mauer umgeben, die nur so hoch war, dass die Bürger mit der „Nasenspitze“ noch darüber schauen könnten, um sein Treiben zu beobachten.

Die rundbogigen Dreifenstergruppen mit Grotesken im Florisstil schmücken den Fürstenhof sowohl zur Straßen- als auch zur Hofseite.

In den Jahren 1512/1513 ließ Herzog Heinrich V. anlässlich seiner Hochzeit mit Helena von der Pfalz den westlichen Flügel erbauen. Das zweistöckige Gebäude mit Kreuzrippengewölbe wurde später als Marstall genutzt.
Herzog Johann Albrecht I., der Neffe und Nachfolger von Heinrich V., ließ nur ein Jahr nach dem Tod seines Onkels einen rechtwinklig an den „Alten Hof“ anstoßenden Festssaal im gotischen Stil abreißen, um darauf den „Neuen Hof“ errichten zu lassen. Dieser Teil ist heute als Fürstenhof bekannt und diente damals als Brautgeschenk für seine Hochzeit mit Anna Sophia von Preußen im Jahr 1554. Johann Albrecht I. pflegte in dieser Zeit Kontakt zu dem italienischen Herzog Ercole II. von Ferrara, was den ita­lienischen Einfluss auf das Bauwerk zu belegen scheint. Mit den Terrakottareliefs am südlichen Teil des Mitteltraktes weist der „Neue Hof“ zudem große Ähnlichkeit mit dem Palazzo Roverella in Ferrara auf. Die Geschosse des Fürstenhofs sind durch Friese mit figürlichen Darstellungen voneinander getrennt. Die Portale der Tordurchfahrt schmücken allegorischen Figuren und Drolerien. Bis 1743 bestand ein Gang vom „Alten Hof“ in die St.-Georgen-Kirche, deren Mauersätze noch bis heute in der Kirche zu erkennen sind.
Nach dem westfälischen Frieden im Jahr 1648 fielen Wismar, Poel und Neukloster an das Königreich Schweden. 1653 wurde im „Neuen Hof“ das Oberappellationsgericht für schwedische Besitztümer in deutschen Landen eingerichtet, das Tribunal. Die Umgestaltungen, die die Schweden vornahmen, wurden teilweise als Verunstaltungen des Bauwerkes empfunden, umfassten sie doch beispielsweise die Entfernung einiger Terrakottaplatten und die Ersetzung der Renaissancefenster durch zeittypische Sprossen­fenster.

Das Portal über der Toreinfahrt zeigt zahlreiche allegorische Figuren und Drolerien, also überspitzte Darstellungen von Menschen und Tieren.

Zusätzlich geschah zur Schwedenzeit Wismars ein großes Unglück im Fürstenhof. In der Nacht auf den 19. Juli 1781 zerstörte ein Brand im Tribunal das Treppenhaus, die Dienstwohnung des Tribunalpräsidenten sowie die äußerst kostbare Bibliothek des Gerichts. Der Vorwurf an die so genannten „Feuerrüpel“, also die Schornsteinfeger, ihrer Fegepflicht nicht ordentlich nachgekommen zu sein, konnte nicht bewiesen werden, wodurch die Ursache des Brandes ungeklärt bleibt. Fakt ist, dass es bereits zuvor Probleme bei der Sanierung und Reparatur des Hauses gab. Ein Brief vom 23. Juli des gleichen Jahres nach Stockholm bestätigte das verheerende Ausmaß des Brandes. Darin hieß es, dass neben dem gesamten Hinterhaus auch ein großer Teil des Tribunalhauses komplett ausgebrannt sei. Der Wismarer Rat führte eine Instandsetzung des Daches durch, forderte die Übernahme der weiteren Reparaturkosten jedoch von den Schweden. 1782 ließ der damalige Präsident des Tribunals, Thure Leonard Klinckowström, von den ersten 5000 Reichstalern die Hintergebäude mit den Sitzungszimmern und Küchen wiederherstellen. Damit zog er einigen Unmut auf sich, da der Wiederaufbau des Haupthauses als deutlich wichtiger angesehen wurde. Erst im Jahr 1795 wurde die Reparatur unter Aufteilung der ­Kosten zwischen der Schwedischen Krone, den pommerschen Landbeständen und dem Wismarer Rat abgeschlossen.
Mit dem Einmarsch der napoleonischen Truppen wurde der Fürsten­hof ab 1810 als Militärlazarett genutzt. Nach dem Abzug diente das Gebäude als Quartier des mecklenburgischen Militärs. Die Restaurierungen des Landesbaumeisters Carl Luckow, die 1878 abgeschlossen wurden, gaben dem Fürstenhof sein heutiges Aussehen. So prachtvoll der Bau noch immer ist, wurde an den damaligen Umgestaltungen reichlich Kritik geübt. Luckow entfernte beispielsweise zwei der terrakottagerahmten Portale und ließ die restlichen, noch im Originalzustand, neu einfassen. Bei der Rekonstruktion der Fenster wurde zwar die Dreiteilung erhalten, jedoch griff der Landesbaumeister statt des ursprünglichen Groteskenstils auf den scheinbar eleganteren klassizierenden Stil zurück. In der Zeit der DDR wurde der Fürstenhof schließlich auf die zentrale Denkmalliste gesetzt und beherbergt heute das Amtsgericht. 

Laura Piontek