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Ein Haus fürs Welterbe

Gebäude in Wismar beherbergt viele Schätze und eine ambitionierte Ausstellung

Der bemalte Boden des Kemladens missfiel dem neuen Besitzer im 19. Jahrhundert. Er drehte die Bretter um und ließ sie verputzen. Foto: Katja Haescher

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Heute in der Lübschen Straße 23 in Wismar, wo das Welt-Erbe-Haus aus der Geschichte der Hanse erzählt.

Der Blick aus den Fenstern des Vorderhauses fällt auf die Lübsche Straße. Nach Westen, wo in einer Entfernung von 665 Kilometern Amsterdam liegt. Und nach Osten, 685 Kilometer bis nach Danzig, 1542 nach Tallinn. Letzteres waren mehr als 51 Tagesreisen. Sogar nach Stralsund war ein Reisender fast fünf Tage unterwegs zu einer Zeit, als über die heutige Lübsche Straße die wichtige Handelsroute der Via Baltica verlief. Damals, zur Zeit der Hanse, be­ginnt die Geschichte des rund 700 Jahre alten Dielenhauses. Und die Hansezeit ist es auch, die der Stadt das vermachte, was sie heute zusammen mit Stralsund zum Welterbe krönt. Aber der Reihe nach.

Der Tapetensaal: Der Farbauftrag der Motive für die Telemach-Tapete erfolgte mit mehr als 2000 hölzernen Druckplatten. Foto: Katja Haescher

Das Doppelgiebelhaus in der Lübschen Straße wurde laut dendrochronologischem Gutachten 1351 gebaut. Es verfügte über eine große Diele im Erdgeschoss, in der der Hauseigentümer seiner Profession nachging – welcher, das konnte noch nicht geklärt werden, sagt Norbert Huschner, der das Amt für Welterbe, Tourismus und Kultur in der Hansestadt leitet. Der Raum im Dachgeschoss war der Lagerraum. Fast scheint es, als sei in dieser prosperierenden Zeit alles wichtiger als das Wohnen gewesen. Lediglich ein länglicher Anbau zum Hof, der so genannte Kemladen, beherbergte Tisch und Bett.

Etwas deutlicher werden die Spuren der Hausbewohner zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals erwarb die Ratsherrenfamilie Lembke das Doppelhaus und führte es zu einer gemeinsamen Nutzung zusammen. Beim Umbau leisteten Lembkes ganze Arbeit: Die Diele wurde abgesenkt, damit eine weitere Decke eingezogen und eine Beletage zur standesgemäßen Repräsentation geschaffen werden konnte. Lembkes Statusdenken bescherte dem Haus und damit auch der Hansestadt Wismar einen Schatz, der heute das Glanzstück der Innenausstattung ist: den Tapetensaal. „Die Tapete entstand 1823 in der Pariser Manufaktur Dufour et Leroy und kam 1828 nach Wismar“, sagt Norbert Huschner. Die Wände des Saals sind vollständig damit ausgekleidet. In einem Bilderzyklus wird die Reise von Odysseus‘ Sohn Telemach auf die Insel der Calypso dargestellt. Das Motiv war seinerzeit ein Exportschlager – heute gehört die aufwendig restaurierte Wismarer Tapete zu den wenigen erhaltenen vollständigen Zyklen. Einen weiteren gibt es zum Beispiel in der Villa des einstigen US-Präsidenten Jackson in Tennessee.

Nachdem 1923 der letzte Lembke kinderlos gestorben war, erwarb die Wismarer Kaufmannskompanie das Haus. Es folgten Zweiter Weltkrieg und ein Systemwechsel; ab 1950 wurde das Gebäude Haus der Kultur und Philatelisten, Numismatiker und Künstler zogen ein. Viel für die Erhaltung der Substanz konnte damals nicht getan werden – es wurde hier mal etwas gestrichen, dort ein bisschen geölt. „Aber es wurde geheizt, das Haus wurde genutzt und das war das Wichtigste“, sagt Norbert Huschner. Seine schlimmste Zeit hatte das Gebäude zwischen 1990 und 2005 – als es leer stand. Nachdem die Hansestadt Wismar das Haus übernommen hatte, wurden mit Hilfe von Städtebaufördermitteln sofort Giebel und Kemladen gesichert. „Sonst hätten wir 2010 nichts mehr zu sanieren gehabt“, ist Nobert Huschner überzeugt.

Dank eines Förderprogramms für ­UNESCO-Welterbestätten konnte die Stadt die Mammutaufgabe schließlich anpacken und zu einem guten Ende führen. Seit dem 1. Juni 2014 erzählt das Haus seine Geschichte – und die eines einzigartig erhaltenen Stadtkerns einer mittelalterlichen Hansestadt, der Wismar neben der wunderbaren Backsteinarchitektur den Platz auf der exklusiven Welterbeliste sichert. Was seit der Wende bei der Erhaltung und Sanierung der historischen Bau­substanz geleistet wurde, verdeutlichen auch diese Zahlen: Damals gab es in der Altstadt 1750 unsanierte Gebäude, Ende 2017 waren es noch 128. Und anstelle von 5000 Einwohnern im alten Kern sind es heute 8000.

Katja Haescher

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