Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal auf dem Gadebuscher Schlossberg,
wo Renaissance im Johann-Albrecht-Stil lockt.
Hier empfing Christoph zu Mecklenburg seine Gäste in der Beletage, wälzten die Mitarbeiter des herzoglichen Domanialamts ihre Akten, kritzelten die Internatsschüler der Erweiterten Oberschule ihre Träume an die Schranktüren. Das Gadebuscher Schloss hat eine lange Geschichte – und die des Schlossbergs reicht sogar noch weiter in die Vergangenheit. Als Sachsenherzog Heinrich der Löwe ostwärts zog, passierte er an der Stelle des heutigen Gadebuschs eine slawische Burg – und legte sie in Schutt und Asche. „Sie kann also nicht ohne Bedeutung gewesen sein, sonst hätte er sich die Mühe wohl nicht gemacht“, sagt Hans-Christoph Struck. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Renaissanceschloss und Museum Gadebusch. Der Verein steht an der Spitze zahlreiche Akteure, die das Schloss wieder für Menschen öffnen, es sanieren und zu einer Kultur- und Bildungsstätte machen wollen. 2017 hat es die Stadt wieder gekauft. Doch zurück in die Vergangenheit – bis ins 13. Jahrhundert, als Gadebusch, eine der ältesten Städte Mecklenburgs, das Stadtrecht erhielt. Die wieder aufgebaute Burg war jetzt eine der Residenzen Mecklenburger Fürsten. Das heutige Schloss entstand zwischen 1570 und 1573, als der in Mecklenburg-Schwerin regierende Herzog Johann Albrecht I. eine Familienangelegenheit zu lösen hatte. Es galt, den jüngeren Bruder Christoph zu versorgen, nachdem dieser sowohl als Administrator des Bistums Ratzeburg als auch als Koadjutor des Erzbischofs von Riga glücklos gewesen war. Das Gadebuscher Schloss ist heute ein herausragendes Beispiel für den so genannten Johann-Albrecht-Stil. Diese mecklenburgische Sonderform
der Renaissance-Architektur kann auch am Langen Haus des Schweriner Schlosses und dem Fürstenhof in Wismar betrachtet werden, die einige Jahre vor dem Gadebuscher Schloss entstanden.
Was letzteres heute kunstgeschichtlich so bedeutsam macht, ist die Tatsache, dass zahlreiche Platten der Terrakotta- Bänder noch original aus dem 16. Jahrhundert stammen. „Das ist in Schwerin und Wismar nicht mehr der Fall“, weiß Struck. Auch in Gadebusch wurde im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts saniert – die Bauleitung hatte der Geheime Baurat Gustav Hamann. Dieser stellte die Lünetten des Westgiebels wieder her, die auf einem alten Merian-Stich aus dem 17. Jahrhundert zu sehen sind, und versorgte auch den Südgiebel mit solchen aus Terrakotta gefertigten Rundungen. Apropos Terrakotta, oder wie es auf Deutsch heißt, „gekochte Erde“: Wenn Hans-Christoph Struck die im 16. und die im 20. Jahrhundert gebrannten Platten vergleicht, muss er feststellen, dass die älteren deutlich filigraner gearbeitet sind. Grazil wirken der Faltenwurf der Gewänder, die Bärte der Herren und die Locken der Damen … Neben seinem kunstgeschichtlichen Wert ist das Gadebuscher Schloss aber auch ein Haus mit viel Platz. Bis ins Jahr 1612 war es Residenz – unter anderem für Christophs Tochter Margarete Elisabeth, die 1608 Johann Albrechts Enkel, Johann Albrecht II., geheiratet hatte. Später war es bis 1921 Sitz des herzoglichen Domanialamtes und nach 1945 kurz Flüchtlingsunterkunft, bevor 1950 die ersten Schüler einzogen. Bald war das ganze Schloss Internat der Gadebuscher EOS – auch der Schüler Wolf Biermann lebte so zeitweise im Schloss.
Nach 1990 beherbergt das Schloss noch Kindergarten, Archiv und Amtsräume. Dann kommt es zum Verkauf und es passiert – nichts. 2017 wird das Grundstück zwangsversteigert. Jetzt haben es die Gadebuscher wieder in der Hand. Der Förderververein, ursprünglich fürs Museum gegründet, hat seitdem 120 statt 20 Mitglieder. Inzwischen ist das Schloss als Denkmal von nationaler Bedeutung eingestuft. So konnte bereits zweimal eine Förderung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien erreicht werden. Viele weitere Institutionen unterstützen den großen Plan, hier ein offenes Haus nebst Landesmusikakademie zu schaffen – mit Seminarräumen und Platz für Workshops, Veranstaltungs- und Auftrittsmöglichkeiten und einem Café. Es wird ein neues Kapitel in der Schlossgeschichte aufgeschlagen.
Katja Haescher