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Fasziniert vom Handy der Hirten

„Hast du Töne!“, möchte man rufen. Ein Alphorn im flachen Mecklenburg? Na klar! Und so platt, sagt Wolfgang Fellechner, sei seine Heimat ja nun auch wieder nicht. Jedenfalls nicht in der idyllischen Endmoränenlandschaft um Mühlen Eichsen, wo er zu Hause ist.

Warum dort jetzt die Töne des Alphorns erklingen, ist eine längere Geschichte. Sie beginnt 2012 mit einem Besuch des heute 70-Jährigen auf der Grünen Woche in Berlin. Dort lauschte er einem Konzert von Alphornbläsern und war fasziniert: „Diese Töne! Das ging mir gleich ins Blut!“ Zurück zu Hause begann Fellechner zu recherchieren. Er stieß auf Baldur Beyer in Witzin bei Sternberg, der Alphörner nicht nur bläst, sondern sogar selbst baut.

„Probieren Sie es doch mal!“, wurde Fellechner dort gleich beim ers­ten Besuch aufgefordert. Er probierte – und entlockte dem Horn sofort Töne. „Was spielen Sie denn sonst? Trompete? Posaune?“ Immer wieder musste der Mühlen Eichsener bei diesen Fragen lachend den Kopf schütteln. Denn abgesehen von der Mundharmonika aus Kindertagen und dem Klampfen auf der Gitarre zur Jugendzeit hatte er keinerlei Instrumentenerfahrung. Was er allerdings mitbrachte, waren ein gutes musikalisches Gehör und Verständnis für Musiktheorie: „Ich musste in der Schule immer gut Noten lernen, um mein schlechtes Vorsingen auszugleichen“, erzählt er lachend.

Nun also ein Alphorn. Das Erste war noch geliehen, dann entschied sich Fellechner, ein eigenes Instrument anzuschaffen. Bei einem Besuch des Sohnes im Schwarzwald war es soweit: Auf der Rückfahrt reiste ein 3,60 Meter langes Horn, zusammensteckbar aus drei Einzelteilen, mit in den Norden.

Natürlich ist ein solches Instrument hier eine exotische Erscheinung – im Gegensatz zu Bayern, Österreich und der Schweiz, die das Alphorn zu einem Nationalsymbol erkoren hat. „Aber die Schweizer haben nicht alles erfunden“, sagt Fellechner und meint damit die Verbreitung der langen, fingerlochlosen Holztrompete überall auf der Welt: „Die Hörner waren die Handys der Hirten, mit denen sie sich über große Entfernungen verständigten.“

Bis zu zehn Kilometer weit sind Alp­hörner zu hören. Das ist ein Grund, weshalb der Mühlen Eichsener bevorzugt außer Haus probt – in Kirchen oder bei der Feuerwehr in Wendelstorf. Inzwischen hat sich um ihn eine Gruppe von Gleichgesinnten zusammengefunden, die regelmäßig gemeinsam musiziert und in Konzerten die Faszination Alphorn ans Publikum weitergibt. Und „MeckAlp“ ist gefragt im Norden. So sehr, dass Wolfgang Fellechner manchmal schon Termindruck spürt. Im Dezember spielten die Alphornbläser auf der Höfischen Weihnacht in Schwerin, mehrere Anfragen, zum Beispiel nach Geburtstagsständchen, waren die Folge.

Das Alphorn klingt draußen und drinnen, besonders gut auch im Innern von Kirchen. Gern lassen sich die „MeckAlps“ dort von einem Organisten begleiten. Die Orgel intoniert dann die Melodie und untermalt so die natürlichen Klänge der Hörner. „Da Alphörner keine Ventile und Klappen haben, können sie nur die Naturtonreihe hervorbringen“, erklärt Fellechner. Die Stimmung des Alphorns hängt von dessen Länge ab. Je länger das Horn, umso tiefer der Grundton. Unterschiedliche Töne werden mittels unterschiedlicher Lippenspannung erreicht. Und obwohl meist aus Holz ist das Alphorn dennoch ein Blechblasinstrument – diese Frage entscheiden die Art des Mundstücks und die Technik der Tonerzeugung.

Fast könnte man es also Alphornwissenschaft nennen, was sich Wolfgang Fellechner in den zurückliegenden Jahren angeeignet hat. Aber vielleicht, sagt er, liegt ihm das Instrument auch im Blut: Fellechners Vorfahren sind Österreicher, siedelten bis ins 18. Jahrhundert im Salzburger Land. Als Protestanten wurden sie 1731 aus ihrer Heimat vertrieben und in Preußen aufgenommen. Von dort verschlug es die Eltern als Ostpreußenflüchtlinge zum Ende des zweiten Weltkriegs nach Mecklenburg.

Wolfgang Fellechner wurde hier geboren, in Mühlen Eichsen, in dem Haus, in dem er heute noch lebt. Der Vater zweier Kinder studierte in Wismar Maschinenbau, arbeitete viele Jahre im technischen Außendienst.
Indem er das Alphorn für sich entdeckte, hat er sich selbst in den „Unruhestand“ versetzt – spannende Erlebnisse inklusive. So reis­te das Ehepaar Fellechner zum Beispiel im vergangenen Jahr zum Alphorntreffen in den Schwarzwald. Dort musizierten mehr als 130 Bläser aus ganz Europa gemeinsam. „Das war eine einmalige Stimmung“, schwärmen Fellechners. Die Musiker kamen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien …

Da drängt sich doch fast wieder die Frage auf, was Alphörner in Großbritannien zu suchen haben? Wolfgang Fellechner lacht: „Ob Amerika, Russland, Neuseeland, überall wird das Alphorn geblasen. Das geht gerade herum wie ein Lauffeuer.“ Und wenn alles klappt, wird es im kommenden Jahr in Mecklenburg ein großes Alphorntreffen geben. Katja Haescher

Foto: Wolfgang Fellechner hat eine Leidenschaft für sich entdeckt: Er bläst das Alphorn. © privat