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Gegen Bücher „Niedrigster Art“

Schule in der Bergstraße sollte neuen Herausforderungen gerecht werden – allerdings gab es auch Zensur

Die heutige Designschule nach der Renovierung Foto: Anne-Marie Schiede

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: im Gebäude der Designschule in der Bergstraße in Schwerin.

Turbulente gesellschaftliche und politischen Umw.lzungen: Die Geschichte der Entstehung der Schule in der Bergstra.e 38 (ehemals 40) entführt uns in das Jahr 1911. Gleichzeitig gibt sie einen kleinen Einblick in die interessante Entwicklung und den Alltag des Schulwesens in Deutschland.
Der Wunsch der Bev.lkerung, eine „lateinlose Realschule“ einzuführen, wurde in der Zeit enormer gesellschaftlicher Ver.nderungen immer lauter. Die Anforderungen an „einfache“ nichtakademische Berufe in Technik, Handel und Wirtschaft stiegen. Indessen hatten die Schulabsolventen der Realgymnasien für das praktische Leben und entsprechende Berufe wenig Relevantes gelernt. Kurzum: Für die Ausbildung zukünftiger Arbeiter brauchte es neue Schulen, die den Anforderungen der neuen Arbeitswelt gewachsen waren. Auch in Schwerin sollte eine solche Einrichtung her. Seitens der Landesregierung gab es für dieses Vorhaben keine finanzielle Unterstützung und so brachten die Mitglieder des neugegründetetn „Realschulvereins“ die Er.ffnung der Schule mit eigenem Kapital auf den Weg: 1912 wurde das Grundstück Bergstra.e 40 mit seinem gro.en parkartigen Garten erworben, auf welchem die vom Berliner Architekten Georg Roensch entworfene Realschule gebaut werden sollte. Die lie. nicht lange auf sich warten: Am 31. August 1912 wurde in der Bergstra.e feierlich das Richtfest begangen. Mit eigener Turnhalle und einem Internat erfüllte die Einrichtung moderne p.dagogische Standards.
Schnell stieg die Zahl der im Internat untergebrachten Schüler. Da nun die R.ume nicht mehr ausreichten, um alle „Sch.fchen im Trockenen“ zu halten, musste kurzerhand umger.umt werden. Klassenr.ume im Schulgeb.ude wurden als Wohnzimmer und Schlafsaal umfunktioniert. W.hrend der Hundstagsferien (den früheren Sommerferien) bekam das Internat sogar einen neuen Anstrich, um dem Fachwerkhaus „einen erhabenen Glanz“ zu verpassen. Doch nicht alles war eitel Sonnenschein. In einer Mitteilung an die Eltern im Schuljahr 1913/1914 mahnte die Schulleitung: „Ferner bitten wir die Eltern (…) dringend, die h.usliche Lektüre ihrer S.hne zu überwachen. (…)Die andauernde Besch.ftigung der Jugend mit Abenteurer- und Verbrechergeschichten niedrigster Art mu. das Gewissen abstumpfen, das Gefühl für das Gute und Edle ert.ten.“ Da man davon ausging, dass neben diesen „bedenklichen Wirkungen“ auch die Schulleistung Schaden nahm, wurde das Mitbringen dieser Bücher „mit Nachdruck bestraft“. Stattdessen gab es die Empfehlung, die Kinder von solcher Literatur fernzuhalten, verbunden mit dem Verweis auf die Schulbücherei, die „reichlichen Lesestoff“ für die Schüler biete.

Im Jahr 1929 wurde die Realschule umgewandelt in eine Oberrealschule. Nun konnten die Schüler hier auch das Abitur ablegen. Zudem wurde die Schule gr..er: Das Geb.ude wurde um drei Achsen erweitert. Ereignisreich ging es nach 1945 weiter: Jetzt .ffneten in der Oberschule in der Bergstra.e auch M.dchenklassen, bis 1948 waren hier au.erdem Kinder der sowjetischen Besatzungsmacht unterrichtet worden. 1954 folgte dann die Zusammenlegung der M.dchen- und Jungenklassen. Im Jahr 1958 wurde zur Feierstunde anl.sslich der Namensverleihung eingeladen. Jetzt befand sich in der Bergstra.e die Polytechnische Oberschule „Theodor K.rner“. Daraus entstand die bis 1989 aufrechterhaltene Tradition, eine Gedenkfeier der Jugendweiheklassen am Grab Theodor K.rners in W.bbelin zu veranstalten. Eine echte Herausforderung ergab sich 1992 für Schüler und Lehrer durch die Sanierung des Geb.udes bei vollem Unterrichtsbetrieb. Mit Ende des Schuljahres 2000/2001 schloss dann die Realschule ihre Türen. Diese .ffneten sich aber bald wieder für die Schüler der Berufsfachschule für moderne Medien.

Seit 2001 k.nnen sie an der Designschule aus den Ausbildungsbereichen Grafik, Mode oder Gamedesign w.hlen und hier einen Berufsabschluss erlangen. Und waren die Schüler 1913 noch dazu angehalten, Unterhaltungsmedien zu entsagen, wird heute Ideenreichtum und Kreativit.t der Absolventen gef.rdert und verlangt.

Anne-Marie Schiede