Auf dem Altar in Bützows Stiftskirche findet sich sogar ein Apostel mit Brille

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Stiftskirche in Bützow, die wie ein kleiner Dom die Stadtansicht prägt.
Ist die groß! Dieser Gedanke kommt beim Blick auf die Bützower Stiftskirche unwillkürlich. Und die Größe liegt nicht nur im Auge des Betrachters, denn hier steht wirklich ein kleiner Dom – zumindest, wenn man einen solchen als Bischofskirche definiert.
Das Gotteshaus hat eine spannende Geschichte. Sie beginnt mit Heinrich dem Löwen und Bischöfen aus Schwerin, die dort weniger Land hatten als in Bützow, und reicht bis zur Stiftung einer Kirche, die eine ganz zeitgemäße Heilige zur Patronin bekam, später sogar Universitätskirche wurde und mit ihrem besonderen Altar jeden Optiker entzückt. Aber der Reihe nach.
Als Heinrich der Löwe 1171 den Schweriner Dom stiftete und mit 300 Hufen bewidmete, befand sich der größte zusammenhängende Teil dieses Landes um Bützow und Warin. 1229 wird eine Kirche in Bützow erstmals urkundlich erwähnt, sie ist ein Vorgängerbau der heutigen Stiftskirche. Zu diesem Zeitpunkt wirkte in Marburg noch eine arme Spitalschwester namens Elisabeth, die einst Markgräfin von Thüringen gewesen war und allen weltlichen Gütern abgeschworen hatte. Als der Papst Elisabeth 1235 nur vier Jahre nach ihrem Tod heiligsprach, wurde sie schnell zu einer „Modeheiligen“ des Mittelalters, einer, der viele Gemeinden das Patrozinium für ihre Kirchen anvertrauen wollten. Das taten 1248 auch die Bützower, so dass die aus dem 13. Jahrhundert stammende Stiftskirche neben Maria und Johannes dem Evangelisten eine zeitgenössische Schutzpatronin erhielt.

1263 wurde Bützow mit dem Bau der Bischofsburg zur dauerhaften Residenz der Kirchenfürsten. Bereits einige Jahre zuvor war das Kollegialstift an der Kirche gegründet und diese zur Domkirche erhoben worden. Dieser Status zeigte sich auch bei der Ausstattung. Nach dem wahrscheinlich ersten steinernen Chorbau aus der Mitte des 13. Jahrhunderts entstand in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein neuer Hallenumgangschor mit achtseitigen Säulen; das erste Langhaus wurde zur Halle umgebaut und Kapellen, Seitenschiffe und Mittelschiff erhielten Gewölbe.
1503 stiftete Bischof Konrad Loste den Marienaltar, einen spätgotischen Flügelaltar, dessen Mittelschrein den Tod Marias zeigt. Umgeben von den zwölf Aposteln ruht die Heilige auf dem Sterbebett. Der Meister des Bützower Altars hat es verstanden, eine lebendig wirkende Szene zu gestalten – bis hin zu den roten Hausschuhen und dem Nachtgeschirr unter dem Bett. Um das Geschehen besser verfolgen zu können, drückt sich einer der Apostel eine Brille auf die Nase. Es ist eine der frühesten Darstellungen einer solchen Sehhilfe in Mecklenburg: Die Brille, bestehend aus zwei verbundenen Linsen, war erst Ende des 13. Jahrhunderts in Italien erfunden worden.


Der Altar ist nicht das einzige kunsthistorisch bedeutende Schnitzwerk, dessen sich die Stiftskirche rühmen kann. Etwas mehr als 100 Jahre später, zu Zeiten der Renaissance, schuf der Künstler Hans Peper eine Kanzel mit reichen figürlichen und ornamentalen Darstellungen. Gestiftet hatte sie Ulrich II., Administrator des Stifts, das zu diesem Zeitpunkt ein eigenes Territorium und nicht unter der Gewalt der Herzöge von Mecklenburg war. Besagter Ulrich war ein Sohn des Dänenkönigs Friedrich II. und mütterlicherseits ein Enkel des Mecklenburger Herzogs Ulrich aus der Güstrower Linie. Er starb 1624 in Rühn, aber sein hölzernes Abbild blickt noch heute in die Stiftskirche.
Die war zwischen 1760 und 1789 sogar Universitätskirche: Mecklenburgs pietistischer Herzog Friedrich der Fromme hatte sich mit den Rostocker Theologen angelegt und in Bützow sein eigenes Ding aufgezogen – allerdings von kurzer Dauer. Aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte.
Katja Haescher