Zum Inhalt springen

Lokschuppen mit Drehscheibe

Im einstigen Bahnbetriebswerk Wismar wird Eisenbahngeschichte lebendig

Der Ringlokschuppem mit der Drehscheibe, die Richtungswechsel von Lokomotiven möglich macht. Foto: Katja Haescher

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Poeler Straße in Wismar, wo sich im Ringlokschuppen alles um die Eisenbahn dreht.

Ein Schuppen unter Denkmalschutz? Oh ja. Der Ringlokschuppen und weitere Gebäude des ehemaligen Bahnbetriebswerks Wismar stehen nicht nur am unmittelbaren Rand der Altstand, sondern auch auf der Denkmalliste der an Denkmalen reichen Hansestadt. Und das nicht ohne Grund: Hier wird Eisenbahngeschichte erlebbar – auch dank des Engagements der Eisenbahnfreunde Wismar.

Im Juli 1848 bekam die Stadt einen Eisenbahnanschluss. Damals standen Stadtmauer und Befestigungsanlagen noch und um zum Bahnhof zu kommen, musste das Stadttor passiert werden. Der Ausbau der Bahn mit den dafür benötigen Nebenflächen war einer der Gründe für den Abriss der Fortifikation – diese stand der weiteren Stadtentwicklung wortwörtlich im Weg. Der markante Ringlokschuppen wurde in den 1880er-Jahren gebaut – zusammen mit der Lokomotiven-Drehscheibe, die eigentlich eine Drehbrücke ist – dazu gleich mehr.

Nach einer Erweiterung in späteren Jahren bot das Gebäude „Parktaschen“ für zwölf Loks, in der Eisenbahnersprache heißen sie Stände. Die Gleise führen deshalb bis ins Innere des Lokschuppens, wo sie zumeist an Arbeitsgruben enden – hier wurden die Lokomotiven überprüft und bei Bedarf repariert. Gleichzeitig diente das Gebäude dazu, die Maschinen angemessen unterzustellen. „Dampflokomotiven mussten warm gehalten werden, denn wenn man sie immer wieder abkühlen ließ und neu anheizte, führte dies zu Dehnungen im Metall, die auf Dauer schädlich waren“, sagt Andreas Nielsen. Er ist Vorsitzender des Vereins der Wismarer Eisenbahnfreunde und, wie er von sich selbst sagt, „gelernter Museumsbahner“.

Fürs Warmhalten der Zugmaschinen sorgte auch im Wismarer Lokschuppen ein so genannter Schuppenheizer. Als das Gebäude 2009 ein neues Dach bekam, wurde es im Innern gleich deutlich heller. „Die alte Decke war so verrußt, das war schwärzestes Schwarz“, erinnert sich Nielsen. Über Jahrzehnte hatten Dampf und Öl ihre Spuren darauf hinterlassen.

Das Herz des Ringlokschuppens befindet sich vor dem Gebäude: die Drehscheibe. Mit ihrer Hilfe können Loks die Richtung ändern. Das war in der Vergangenheit vor allem bei den Schlepptender-Dampflokomotiven wichtig – denjenigen Maschinen, die den Vorratswagen für Kohle und Wasser hinter sich herzogen. Mit ihnen ließ sich nicht oder nur schlecht rückwärts fahren. An jeden der zwölf Stände des Lokschuppens, die sich ringförmig um die Scheibe gruppieren, konnte deshalb das auf der drehbaren Brücke befindliche Gleis angedockt werden. Stand dann die Lok darauf, ließ sich diese mit einer weiteren Drehbewegung wieder auf Kurs bringen – mit dem Schornstein voran.

Die 23 Meter lange Drehbrücke ist dabei so konstruiert, dass sie 230 Tonnen trägt – damit wird die stärks­te Lok bewegt. Und die Konstruktion hat einen weiteren Vorteil: Sie dient dem Ringlokschuppen als Ersatz für eine Weichenanlage und das bei deutlichen geringerem Platzbedarf. Nur bei starken Schneefällen gibt es ein Problem: Türmen sich die Flocken in dem tiefergelegenen Rund, sind die Loks bei hohen Schneebergen eingesperrt. „Vermutlich deshalb nutzt man zum Beispiel in Schweden wirklich Scheiben, welche die gesamte Kreisfläche bedecken“, weiß Nielsen.

Besitzerin von Ringlokschuppen und Drehscheibe ist die Hansestadt Wismar. Dem Verein gehören weitere Gebäude des einstigen Bahnbetriebswerks, das 1997 endgültig den Betrieb einstellte. Ziel der Wismarer Eisenbahnfreunde ist es, das Bahnbetriebswerk mit seinen Gebäuden museal zu erhalten. Das Gleiche gilt für Lokomotiven, die in der Vergangenheit für den Bahnbetrieb in der Region typisch waren. Nicht zuletzt gab es bis 1947 auch noch die Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar, die ihre Waggons nach ganz Deutschland lieferte und in deren Historie sich hier ebenfalls reisen lässt.

Zur Reise in die Eisenbahngeschichte begrüßen die Vereinsmitglieder schon jetzt regelmäßig Besucher – wie unlängst zu den Tagen der Industriekultur. Mit dem weiteren Ausbau des Ringlokschuppens und der Sanierung weiterer Waggons und Lokomotiven darin soll das Angebot weiter ausgebaut werden. Und natürlich gehören zur Eisenbahngeschichte nicht nur Lokomotiven und Wagen. Gerade haben die Vereinsmitglieder einige Holzbänke, wie sie einst typisch für die dritte Klasse waren, erworben. Dazu fällt dann Andreas Nielsen gleich noch ein Witz ein: Der Sohn des Bahnhofsvorstehers kommt in die Schule. Er schaut auf das Schild an der Tür und sagt: 1. Klasse? Und warum ist kein einziger Stuhl gepols­tert? 

Katja Haescher