Die Festung Dömitz ist die einzige vollständig erhaltene Renaissancefestung Norddeutschlands
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Festung Dömitz, der einzigen vollständig erhaltenen Festung aus der Renaissance in Norddeutschland.
Wie ein Stern, der seine Zacken ins Grüne streckt, liegt die Festung Dömitz am Ufer der Elbe. Fünf Spitzen sind es, die sich beim Näherkommen als fünf Bastionen erweisen und die den Festungsbau zu Mecklenburgs Pentagon machen. Zur reizvollen Lage und architektonischen Harmonie kommt die historische Bedeutung der einzigen vollständig erhaltenen Renaissancefestung Norddeutschlands. Wallenstein war hier, die Pappenheimer und Fritz Reuter, wenngleich nicht freiwillig. Doch dazu später mehr.
Ist die Festung je erobert worden? Museumsleiter Jürgen Scharnweber kennt diese Frage. Sie drängt sich ja auch auf, denn angesichts von Festungsgraben, Wällen und Kasematten scheint es unvorstellbar, dass dieses Bollwerk nicht standgehalten hat. Doch auch die Mauern der Festung Dömitz wurden im Sturm genommen. Vor allem während der 30-Jährigen Krieges im 17. Jahrhundert erlebten die hier stationierten Soldaten und auch die Einwohner der Stadt eine schwere Zeit. Die Besatzer wechselten immer wieder, schwedische Truppen zogen ein, genauso wie kaiserliche unter Tilly und Wallenstein.
Damals war das Bauwerk noch keine 100 Jahre alt. Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg hatte es an dem strategisch wichtigen Punkt in Elbnähe vermutlich an der Stelle einer älteren Burg bauen lassen – zur Sicherung der mecklenburgischen Grenze und der Zollhebestelle, in der mit dem Elbzoll eine lukrative Einnahmequelle des Fürstenhauses sprudelte.
Der Bau – zwischen 1559 und 1565 errichtet – gehörte im 16. Jahrhundert zum Modernsten, was die Fortifikation zu bieten hatte. In dieser Kunst, Befestigungsanlagen zu bauen, waren zu dieser Zeit die Italiener besonders versiert. Der Herzog hatte den Baumeister Francesco Bornau aus Brescia bei Mailand verpflichtet, der neben dem Know-how auch einen Trupp Arbeiter aus Italien mitbrachte. Die für die Anlage benötigten Ziegel wurden bei Feldbränden neben der Baustelle hergestellt. Nach dem Erdaushub begann der Bau der Kasematten, mit Erde bedeckter Gewölbe, in denen wie auf den Bastionen Kanonen standen. „Diese konnten jeden Bereich um die Festung unter Feuer nehmen, es gab keinen toten Winkel“, nennt Jürgen Scharnweber eine der aus militärischer Sicht bedeutsame Neuerung dieser Bauweise.
Die Kasematten können noch heute besichtigt werden. In den Gebäuden im Festungsring sind Ausstellungen untergebracht: das Museum in der Hauptwache, im Zeughaus eine Schau des Biosphärenreservats Flusslandschaft Elbe und eine zur Geschichte der Elbbrücken, ein alter Kolonialwarenladen in der Kommandentenremise.
Aktuell saniert wird das Kommandantenhaus, das im Lauf der Historie auch mal zum Schloss avancierte: Herzog Karl Leopold verlegte während der Reichsexekution seinen Regierungssitz nach Dömitz – nur eine von vielen Geschichten, die Gäste hier erfahren. Eine weitere ist die des Stock- und Tollhauses, die eine unrühmliche Episode des Umgangs mit behinderten Menschen erzählt. Die „Irren“ – so der damalige Sprachgebrauch – wurden auf der Festung unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt – zum Teil bewacht von Insassen des Gefängnisses und deren Grausamkeiten ausgeliefert.
Heute zählt die Festung jedes Jahr rund 30.000 Besucher. Seit 1953 ist hier ein Museum, das sogar die Zeit bis 1973 überstand, in der Dömitz zum Sperrgebiet gehörte und niemand ohne Passierschein in die Stadt kam. Ein wichtiger Grund dafür war der Name Fritz Reuter: Der niederdeutsche Schriftsteller hatte in Dömitz das letzte Jahr seiner Festungshaft verbracht, zu der er wegen „Hochverrats“ verurteilt worden war. 1840 erreichte ihn hier eine Amnestie. Zahlreiche Ausstellungsstücke erinnern an den Aufenthalt Reuters – an historischer Stelle in der Hauptwache, in deren Obergeschoss er untergebracht war.
Und von so viel Historie einmal abgesehen gibt es noch etwas, was sich Besucher auf keinen Fall entgehen lassen sollten: den Blick auf die Elbe von der Bastion „Drache“.
Katja Haescher