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Mit Ilias und Spaten

Ach Helena! Die Schöne muss es faustdick hinter den Ohren gehabt haben. Sie ließ ihren Gatten Menelaos in Sparta sitzen und sich von Königssohn Paris entführen und nach Troja bringen. Die Folge: Zehn Jahre Krieg, zahlreiche Heldentode und eine gebrandschatzte Stadt, beschrieben in einem Epos, das den Beginn der abendländischen Literatur markiert.
Gut 2500 Jahre später wird HomersIlias zu dem Werk, das den Lebensweg eines Mecklenburgers prägt: Heinrich Schliemann, am 6. Januar 1822 im mecklenburgischen Neubukow geboren, will das sagenhafte Troja ausgraben. Am Hügel Hissarlik im nordwestlichen Kleinasien findet er 1873 die von einer Brandschicht bedeckten Überreste einer Stadt – und wird weltbekannt.

„Für mich ist Schliemann der berühmteste Mecklenburger“, sagt Katja Winger, die seit April 2020 die Heinrich-Schliemann-Gedenkstätte in Neubukow leitet. Hier können Besucher in der kleinen Dauerausstellung den Weg des
Pastorensohns verfolgen, der es vom Kaufmannsgehilfen zum Bankier brachte, im Indigo- und Salpeterhandel Multimillionär wurde und schließlich als Privatier zu spektakulären Grabungen aufbrach: nach Troja, Mykene, Tiryns.

Katja Winger mit der Sonderbriefmarke

Zur Ausstellung gehören Fotos, eine interaktive Weltkarte, Hörstationen und Tagebuchausschnitte.
„Schliemann schrieb seine Tagebücher in verschiedenen Sprachen, da folgen auf eine Passage Urdu drei Zeilen Italienisch und dann wieder ein Absatz Englisch“, sagt die Gedenkstättenleiterin. 21 Sprachen soll das polyglotte Genie beherrscht haben. Allein daraus ließe sich ein Museum gestalten, meint Katja Winger. Die Archäologin verschweigt auch nicht die Ambivalenz, die mit dem Namen Schliemann verbunden ist. Bei seiner
Suche nach Troja lässt der Mecklenburger rücksichtslos einen 79 Meter langen und 10 Meter breiten Graben in den Hissarlik treiben, um bis auf dessen Felsgrund zu graben. Was ihm dabei in die Quere kommt, entsorgte er als Schutt – vermutlich auch jene Überreste, die aus der Zeit des trojanischen Krieges stammen. So gräbt er zwar Troja aus, aber an dem Troja aus Homers Geschichte gräbt er vorbei. Denn der Ort ist seit 5000 Jahren ein Siedlungsplatz. Dennoch gehört es zu Schliemanns Verdiensten, die Feldarchäologie als Wissenschaft
etabliert zu haben und das Interesse für das Altertum zu befeuern, das der PR-Stratege auch in eigener Sache geschickt zu steuern weiß. Viel Stoff also, um auf Schliemann zu schauen. In Neubukow sind in
diesem Jahr noch zahlreiche Veranstaltungen geplant – auch wenn Corona in diesem Monat schon den Festempfang zu Schliemanns Geburtstag und die Vorstellung der neuen Sonderbriefmarke durchkreuzte. Doch es gibt noch viele weitere Projekte – angefangen bei zwei Sonderausstellungen im kleinen Museum. Konzipiert werden diese in Zusammenarbeit mit der Universität Rostock, deren Institut für Altertumswissenschaften den Namen Heinrich Schliemanns trägt. Und inzwischen darf sich auch Neubukow offiziell „Schliemann-Stadt“ nennen.

In Kitas und Schulen beschäftigen sich schon die Jungen und Jüngsten mit dem großen Sohn der Stadt. Zwar kam aus Richtung der Schüler schon Widerspruch zur Aussage bezüglich des berühmtesten Mecklenburgers mit der Gegenfrage „Ist das nicht Matthias Schweighöfer?“ Aber alle machen mit – so soll zum Beispiel im Kunstunterricht die Auseinandersetzung mit Schliemann erfolgen.

Und die Lütten aus der Kita „Am Amtsgarten“ haben schon vorgelegt und ein Geschenk gebracht: ein selbstgebautes trojanisches Pferd. Katja Winger war begeistert – und hat es gleich ins Museum hereingeholt.
„Obwohl“, sagt sie lachend, „das ja eigentlich bedeuten müsste, dass ich aus der Geschichte nichts gelernt habe.“

Spuren in Mecklenburg

Ein schweres Bronzeleben
Fünf Jahre nach seinem Tod 1890 in Neapel erhält Schliemann am Schweriner Pfaffenteich ein Denkmal. Sein Alter Ego aus Bronze hat’s damals nicht leicht: Regelmäßig werden ihm die Augen verbunden, wenn die Schüler des benachbarten Fridericianums über ihren Prüfungen schwitzen – er sollte das Elend nicht mit ansehen müssen. Nachdem der Bronze-Archäologe im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen werden soll, wird er im Zweiten sicherheitshalber vom Sockel geholt, im Tresor der Stadtkasse eingeschlossen – und vergessen. 1948 ist er zurück; das Augenverbinden und anderer Schabernack mit dem Bronzekopf gehen weiter. 2011 wird er von Metalldieben gestohlen, zersägt und verkauft. Dank der Unterstützung der Sparkasse kann ein Nachguss angefertigt werden, der seit 2012 am Pfaffenteich steht.

Büffeln in Kalkhorst
Im Garten des Kalkhorster Pfarrhauses steht ein kleiner Pavillon. Dort soll der junge Heinrich Schliemann zusammen mit seinem Cousin Adolph Latein gebüffelt haben. Vater Ernst Schliemann hatte ihn nach dem Tod der Mutter in die Obhut seines Bruders gegeben, der in Kalkhorst Pfarrer war. Hier lebt Schliemann zwei Jahre
und bereitet sich aufs Gymnasium vor, das er dann nach nur drei Monaten wieder verlassen muss – sein Vater kann das Schulgeld nicht mehr zahlen. Der Pavillon wurde vor einigen Jahren saniert und erzählt heute von dieser Episode aus Schliemanns Kindheit.

Museum in Ankershagen
So ähnlich könnte es ausgesehen haben – das „Trojanische Pferd“. Eine Nachbildung steht vor dem
Pfarrhaus in Ankershagen und stimmt auf einen Besuch bei Heinrich Schliemann ein. Der Troja- Ausgräber verbrachte in dem Fachwerkhaus seine Kindheit; heute beherbergt das Gebäude das Schliemann-Museum und ist Zentrum der internationalen Schliemann- Forschung. Ergänzt wird die Dauerausstellung von Sonderausstellungen
und zahlreichen Veranstaltungen. Aktuell ist eine neue Ausstellung aufgebaut, die Schliemanns Troja-Grabungen als Medienereignis thematisiert – „Und überall sprach man plötzlich von Troja“. Die Schau öffnet, sobald dies pandemiebedingt möglich ist.

Schliemann 200!
„Schliemann 200!“ lautet der Titel einer Sonderausstellung im Virtuellen Landesmuseum – zu
sehen unter www.landesmuseum-mv.de. Die Präsentation rückt die Biografie des berühmten Mecklenburgers in den Vordergrund, der im Laufe seines Lebens auch russischer und US-amerikanischer Staatsbürger wurde. Gleichzeitig geht mit der Heinrich-Schliemann-Gedenkstätte Neubukow das 53. Haus im Virtuellen Landesmuseum MV online. Zu den damit eingebrachten neuen Exponaten zählt unter anderem eine Replik der – so genannten – Goldmaske des Agamemnon. Das Landesmuseum ist ein Projekt der Stiftung Mecklenburg in Kooperation mit dem
Museumsverband MV.

 

Katja Haescher