Susanne Reichhard engagiert sich für das Kulturhaus Mestlin und kreative Projekte auf dem Lande
Wenn Susanne Reichhard von außen auf das Kulturhaus Mestlin mit seinen zwei Geschossen, seinem Haupteingang mit den Säulen davor und seiner beeindruckenden Breite von fast 60 Metern schaut, schießen ihr oft zwei einander widersprechende Gedanken durch den Kopf: „Wahnsinn, dass wir nur mit ehrenamtlicher Arbeit um die drei Millionen hier verbaut haben!“ und „Das Haus ist trotzdem immer noch eine Baustelle!“
Das Kulturhaus des ehemaligen sozialistischen Musterdorfes hatte, obwohl es eigentlich seit 1977 denkmalgeschützt war, nach der Wende ein schlimmes Schicksal erlitten: Es war unter anderem als Spielhölle und Großraumdisko genutzt worden und hatte dann leer gestanden. „Als ich das Haus zum ersten Mal sah, waren die Wände noch von der Disko-Zeit schwarz, die Böden völlig kaputt. Dennoch habe ich es vom ersten Moment an
geliebt“, erinnert sich Susanne Reichhard. Sie war dankbar, dass ein Vorgängerverein aus Bürgern des Dorfes zumindest dafür gesorgt hatte, dass das Dach neu gedeckt wurde. Der Verein Denkmal Kultur Mestlin gründete sich dann vor rund 15 Jahren. „Wir waren ein Kreis von Freunden, zu dem auch eine Handvoll Künstler gehörte, und fingen gleich an, Gelder für die nötigen Baumaßnahmen einzuwerben. Das Kulturhaus selbst pachteten wir von der Gemeinde.“ Vor allem mit Fördermitteln konnte man nach und nach alle Terrassen, Fenster und Türen erneuern,
die große Bühne – ein technisches Denkmal – restaurieren. Leider gibt es nur einen beheizbaren Raum im Haus, nämlich den kleinen Saal, so dass man es lediglich zwischen Mai und September bespielen kann. Dennoch hat es der Verein geschafft, pro Jahr im Schnitt drei größere Ausstellungen hier zu zeigen sowie mehrere Konzerte
auf der Bühne stattfinden zu lassen. Mehr als 500 Künstler haben in den letzten Jahren hier gearbeitet.
Manche spielten oder sangen ohne Gage oder stellten ohne Gage aus, nur für das Fahrgeld oder für die Möglichkeit, im Haus gegenüber, das der Verein ebenfalls „gerettet“ hat, übernachten zu können. Die derzeit 26 Vereinsmitglieder, deren größerer Teil außerhalb Mestlins wohnt, erledigen auch alle Aufgaben rund um das Programm ehrenamtlich – was sich schon wie ein zweiter Vollzeitjob anfühlen kann. Sie legen gemeinsam fest, welche Veranstaltungen stattfinden sollen, kümmern sich um Werbung, Logistik, die gastronomische Umrahmung und natürlich um die Künstler. Um diese Arbeiten auf mehr Schultern verteilen zu können, sucht der Verein neue Mitglieder. Obwohl der Verein aus vielen kreativen Köpfen besteht, laufen die Fäden schlussendlich bei Susanne Reichhard und ihren drei Vorstandskollegen zusammen.
Susanne Reichhard ist selbst Künstlerin und fühlt sich besonders auf der Bühne und im großen Saal des Gebäudes zuhause. Die freie Schauspielerin, Theaterpädagogin und Regisseurin, die aus der Nähe von Eisenach stammt und an vielen Bühnen in Deutschland und Frankreich gearbeitet hat, zog vor rund 20 Jahren in ein Dorf bei Mestlin und lebt dort mit Mann, Hund, zwei Katzen und einem Kleinpferd. „Auch unser Wohnhaus ist noch eine Baustelle, an der regelmäßig etwas gemacht werden muss“, sagt sie augenzwinkernd. Neben dem Haus hat die Schauspielerin noch eine Wohnung in Berlin. Pendeln und häufige Wohnortwechsel ist sie gewohnt: „Es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich fast jedes Jahr umgezogen bin.“ Im Kulturhaus erarbeitet Susanne Reichhard regelmäßig mit Profis und Laien Inszenierungen. „Als neue Herangehensweise haben wir bereits zwei Filme gedreht.“ Ihre Idee vom Kulturhaus Mestlin als Zentrum für Menschen im dörflichen Gebiet sah sie mit dem Projekt „Rotkäppchen 4.0“ fast perfekt umgesetzt. Mit einem Musical zum Thema, einer Installation im Foyer und einer professionellen Ausstellung im Obergeschoss erreichte das Haus auch Gäste von weither. „Ich selber bin damals wochenlang durch alle Kitas und Schulen in der Umgebung getourt und habe für die Veranstaltung geworben.
Die Künstlerin und ihre Vereinskollegen haben es über die Jahre geschafft, dass das Kulturhaus „nicht totgegangen ist“, wie Susanne Reichhard es formuliert. „Wir kämpfen dafür, dass dieses Symbol der Lebensleistung der ostdeutschen Menschen weiter existiert und in der heutigen Zeit genutzt werden kann, auch wenn das arbeitsintensiv und aufreibend ist.“ Viel hat es geholfen, dass der Verein oft kostenlose Hilfe oder Geschenke für den Erhalt des Hauses bekam. Dennoch tun sich natürlich immer wieder neue Baustellen auf: Da ist die fehlende Heizung, da sind die bereits sanierten Toiletten im Untergeschoss, wo sich durch die Feuchtigkeit dort die Türen verziehen. Die steigende Inflation kommt als Problem hinzu. So fällt es der Gemeinde, der dieser
große Bau nach der Wende rückübertragen wurde, zunehmend schwer, die Unterhaltskosten zu
tragen. Doch ein Blick an der Fassade des Kulturhauses hinauf zum Dach und in den Himmel reicht Susanne Reichhard, um zu sagen: „Wir machen weiter.“
Beate Diederichs
denkmal-kultur-mestlin.de