Zum Inhalt springen

Vom Damenmantel bis zur Butter

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in der Mecklenburgstraße 28 in Schwerin, wo ein eindrucksvolles Geschäftshaus seine Nachbarn überragt.

Es war 1903, als der Kaufmann Johannes Voß in der Kaiser-Wilhelm-Straße 28 ein Kaufhaus errichten ließ. Überall in Europa regierte der Jugendstil und Frauendarstellungen gehörten zu den beliebtesten Motiven dieser von poetischen und traumhaften Bildern geprägten Strömung. Der Architekt und angesehene Schweriner Baumeister Ludwig Clewe jedenfalls gab jetzt auch dem Voß‘schen Neubau ein Gesicht – einen Frauenkopf mit niedergeschlagenen Augen, die auf die Straße herunterzublicken scheinen. Dort bekommt die Dame seit mehr als 100 Jahren auch einiges geboten – entstanden doch Ende des 19. Jahrhunderts neue Wohn- und Geschäftshäuser, die Schweriner zum Bummeln lockten. Wo einst der Fließgraben plätscherte, entwickelte sich eine geschäftige Einkaufsstraße, die ab 1874 sogar den Namen des Kaisers trug – und später dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend als Bismarckstraße, Straße der Nationalen Einheit und Hermann-Matern-Straße im Stadtplan auftauchte. Heute ist sie als Mecklenburgstraße innerstädtischer Boulevard – und die Nummer 28 in der Häuserzeile ein besonderer Hingucker.

Ursprünglich hatte sich an dieser Stelle ein zweigeschossiges traufenständiges Haus aus der Zeit der Erstbebauung des Fließgrabens befunden. Bei der Neugestaltung des Grundstücks kam es zu Verzögerungen, denn Clewe wollte mit Stahlbeton bauen. Das Verfahren sollte in Schwerin zum ersten Mal zum Einsatz kommen und die Mitarbeiter der Behörden hatten vor der Erteilung der Baugenehmigung noch Erklärungsbedarf. Mit Verweis auf bereits in Stahlbetonweise entstandene Häuser in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main bekam Clewe schließlich grünes Licht und konnte mit den Arbeiten beginnen. Kleine Episode am Rande: Als der Baumeister 1912 starb, ließ sein Sohn Ludwig Clewe jun. die Familiengrabstätte auf dem Alten Friedhof in Stahlbetonweise errichten.

Doch zurück zu Johannes Voß, der 1904 das Geschäftshaus mit seiner Damenmäntel-Fabrik, „Mantel-Voß“ bezog. Das Gebäude lockte mit einer aufwendigen Verglasung der Ladenflächen im ersten und zweiten Obergeschoss. Allerdings wurden hier nur wenige Jahre Mäntel verkauft, dann erwarb Kaufmann Lohmann das Haus. Auch das angebotene Sortiment wechselte in der Folgezeit immer wieder. Ein Buttergeschäft, ein Zigarrenladen und eine Versicherung zogen ein. Auch das Aussehen des Hauses änderte sich in dieser Zeit. War die Fassade anfangs durch drei Ladengeschosse mit großen Glasfenstern und Putzdekor sehr opulent, wurde sie nach einem Umbau 1928 deutlich schlichter. Das Relief im Giebel, Erker und Loggia sind aber noch heute zu sehen.

Das Haus mit der Nummer 28 entstand 1903 als Kaufhaus, ursprünglich für Damenmäntel.
Foto: Rainer Cordes

In den 1930er-Jahren erwarb die Beerdigungsfirma Paulsen, das angesehenste Beerdigungsinstitut der Stadt, das Haus und richtete im ersten Stock ein Sargmagazin ein. Außerdem hatte die Sterbekasse „Begräbnishilfe der 3000“ hier ihren Sitz. 1948 wurden Firma und Haus enteignet, weil Friedrich Paulsen jun. Mitglied der NSDAP gewesen war. Also hieß es wieder einmal: Auf ein Neues. Das war dann 1965 unter anderem ein Museum: Im ersten Obergeschoss zog das Bezirksheimatmuseum ein, ab 1979 war dann das historische Museum hier zu finden. Zwischen 1990 und 1996 befand sich außerdem eine Außenstelle des Stadtarchivs in dem Gebäude. 

Inzwischen ist das Haus in Privatbesitz. In den Jahren 2004 und 2005 wurde es umfassend saniert und lockte wie zu Voß‘ Zeiten weiterhin Schweriner und Gäste der Stadt zum Einkaufsbummel. Auch heute gehen viele Menschen ein und aus: Seit kurzen beherbergt das Gebäude ein Optikergeschäft. Die Dame in der Fassade schaut noch immer dem Treiben in der Straße zu. Und braucht dafür nach mehr als 100 Jahren nicht einmal eine Brille.

 

Katja Haescher