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Von Brauern und Ackerbürgern

Museum Hagenow zeigt Geschichte der Region – und ein Haus, das selbst Ausstellungsstück ist

Die monochrome Fassade nimmt die Situation zur Entstehungszeit des Hauses auf. Foto: Katja Haescher

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Langen Straße 79 in Hagenow, wo ein altes Ackerbürgerhaus die Geschichte einer ganzen Region bewahrt.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte Hagenow einen Bauboom. Einen kleinen zwar, passend zum kleinen Ackerbürgerstädtchen, aber immerhin. In der Hagenstraße entstand 1828 die Synagoge der jüdischen Gemeinde. Und in der Langen Straße ließ sich der Hagenower Christian Jessel im gleichen Jahr ein Haus bauen. Es war ein modernes schmuckes Gebäude, das in unmittelbarer Nähe der Kirche emporwuchs; auf einem Grundstück, das zuvor dem Ackerbürger Weltzien gehört hatte. Ackerbürger war auch Jessel, dessen Familie seit Jahrhunderten in der Stadt ansässig war. Außerdem war er Bierbrauer und Branntweinbrenner und brauchte für diese Profession einen entsprechenden Ort.

Nachdem das Haus, das mit zwei Etagen und einem Lagerboden sehr großzügig ausfiel, fertig war, entstand kurz darauf auch ein Anbau für die Brennerei. Ställe und Speicher auf der Rückseite vervollständigten das Ensemble zu einem ganzen Wirtschaftshof, der über eine große Durchfahrtstür von der Straßenseite erschlossen wurde. „Zum Teil standen diese Gebäude schon auf dem einstigen Kirchhof, der bis 1814 genutzt worden war“, weiß Museumsleiter Henry Gawlick. Und bei allem Respekt für den Tod: Es waren die Bedürfnisse der Lebenden, denen die Aufmerksamkeit des Handwerkers Christian Jessel galt.

Die Wirtschaft florierte – später auch unter Jessels Neffen Friedrich, dem der kinderlose Handwerker Unternehmen und Haus anvertraute. Dieser Friedrich, so hat es Henry Gawlick dem Wanderbuch des Brauers entnommen, muss ein „plietscher Kerl“ gewesen sein. Zweimal machte er sich auf den Weg in die ostbayrische Stadt Amberg, jahrhundertelang der Ort mit den meisten Brauereien in Europa. Bei dem Meister Sebastian Schieferl lernte Friedrich Jessel die bayrische Braukunst kennen und brachte dieses Wissen mit nach Hagenow.

In seinem Haus in der Langen Straße richtete er einen Raum für den Ausschank ein. Hier fanden zudem die Quartalsversammlungen der Zünfte statt. Und auch Fremdenzimmer muss es bei Jessel gegeben haben: So fand hier Orgelbauer Friedrich Friese Logis, wenn er aus Schwerin nach Hagenow kam, um die Kirchenorgel zu warten.
Die Geschichte des Hauses hat auch Eingang in die Geschichte des Museums gefunden. Gerade ist Teil zwei der Dauerausstellung frisch überarbeitet worden und widmet sich dem Handwerksstandort Hagenow mit Erweiterung auf die Griese Gegend.

Das Erbe der Schusterstadt, die Kunst der Waldglasherstellung, dargestellt mit einer hochkarätigen Sammlung, und natürlich das Handwerk des Brauens spielen dabei eine große Rolle. So befindet sich heute in dem Raum, in dem vermutlich Jessels Ausschankstube lockte, die Gaststube des einstigen Hotels „Stadt Hamburg“ in Wittenburg. Sie ist original ausgestattet und von Wirtin Anni, dem Bierlieferanten Fritz und Gast Jochen besetzt, der wieder ordentlich „Döst“ hat. Moderne Technik macht es nämlich möglich, dem Gespräch der drei zu lauschen, das es auf diese oder ähnliche Art bestimmt in so manchem Gastraum gegeben hat.

Moderne Technik ist auch ein gutes Stichwort für das Museum heute. Denn das Alte, um das es hier geht, findet in der Präsentation des 21. Jahrhunderts den Weg zum Betrachter. Seit 1983 befindet sich die 1974 gegründete Einrichtung in der Langen Straße 79. Die Nachfahren des Erbauers Christian Jessel überschrieben damals das Haus an die Kommune und die stadtgeschichtliche Sammlung fand endlich einen passenden Platz.

Seitdem ist das Gebäudeensemble umfassend saniert und auch die zwischenzeitlich geschlossene Hofdurchfahrt des alten Ackerbürgerhauses wieder geöffnet worden. Viel Platz also für Sonderausstellungen, Museumspädagogik und das Eintauchen in die Zeit, die hier nicht erst mit Christian Jessels Hausbau, sondern bereits mit den ersten Siedlungsspuren aus der Steinzeit be­ginnt. 

Katja Haescher