In Neustadt-Glewe lockt Mecklenburgs älteste Wehrburg zum Spaziergang durch die Geschichte
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: in Neustadt-Glewe, wo Mecklenburgs älteste Wehrburg thront.
Vom Graben ist nur ein kleiner Teich geblieben. Hier raschelt das Schilf, während gleich nebenan die Flügel der schweren Holztür weit offen stehen: Die alte Burg in Neustadt-Glewe ist heute ein einladender Ort. Und trotzdem: Angesichts von Bergfried und Wehrgängen, meterdicken Mauern und Schießscharten braucht es nicht viel Phantasie, um zurück in die Blütezeit dieses Orts zu reisen.
Die begann nach der Ostexpansion unter Heinrich dem Löwen im 13. Jahrhundert. Damals ging es heiß her an der südöstlichen Grenze der jungen Grafschaft Schwerin. Ein Verteidigungsstützpunkt war vonnöten, um das Territorium zu sichern. Um 1300 entstand das rechteckige Burgareal, dem vermutlich schon ein weiterer Bau vorausgegangen war.
Zwei Längshäuser, der Bergfried und die nördliche Wehrmauer haben die Zeiten überdauert – das macht das Ensemble zu einer der besterhaltenen Burgen Mecklenburgs. Wenn Museumsleiterin Britta Kley heute Besucher mit auf die Zeitreise nimmt, führt der Weg zuerst ins Neue Haus. Wie der Name verrät, ist es das jüngere der beiden Längshäuser. Es entstand in der Mitte des 15. Jahrhunderts und wurde als Wohnhaus genutzt. Klarer hervor tritt die Aufteilung im 16. Jahrhundert dank eines Inventars von 1576, das die herzoglichen Gemächer im Obergeschoss beschreibt. Im Erdgeschoss befand sich eine große Hofstube, in der man zu Beratungen, zum Essen und nach erfolgreicher Jagd zusammen kam. Auf letzteres weist ein Fries mit Jagdszenen hin, dessen Fragmente heute noch zu sehen sind. Und hier entdeckte Bärenknochen mit Schnittspuren sind ein Indiz, dass fürstlich geschmaust wurde.
Die Burg befand sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz der Herzöge von Mecklenburg. Albrecht II. hatte sie 1358 von den Erben der Grafschaft Schwerin erworben. Allerdings war Neustadt-Glewe keine Residenz – die Herrschaften nutzten den Ort zum Beispiel während ihrer Jagdausflüge in die Lewitz. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie auf Bequemlichkeiten verzichten wollten. Davon erzählt eine mittelalterliche Fußbodenheizung, die unterhalb der Hofstube im Neuen Haus entdeckt wurde. Sie stammt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, konnte von außen befeuert werden und entließ die Wärme über Öffnungen im Boden in den Saal. Heute geben begehbare Glasscheiben einen Blick darauf frei.
Wärme war auf der Burg ein kostbares Gut. Das erfahren Besucher auch im Obergeschoss, wo eine Ausstellung Auskünfte über den Alltag gibt. Der war alles andere als romantisch: „Ruß und Gestank, Dunkelheit, Zugluft und Kälte, Ratten, Mäuse, Läuse und Flöhe gehörten dazu“, zählt Britta Kley auf. Ob Herzog Adolf Friedrich I. deshalb 1618 den Bau eines Schlosses gleich gegenüber in Auftrag gab? Fest steht, dass es gut 100 Jahre dauerte, bis mit Christian Ludwig II. ein Mitglied des Herrscherhauses hier einzog. Gut zwei Jahrzehnte später, 1750, wurde das Neue Haus zum Marstall umgebaut.
Fast 300 Jahre zuvor hatte die Burg noch einmal aufgerüstet. Im 15. Jahrhundert entstanden Bergfried, Wehrmauern und Zinnen. 28 Meter misst der Turm von der Sohle des Verlieses bis zur Spitze und die zwei bis drei Meter dicken Mauern scheinen zu sagen: Rein gehts hier nur mit Einladung. Oder mit Anklage: In dem acht Meter tiefen Verlies, dessen einziger Zugang eine Luke in der Decke – das so genannte Angstloch – ist, sollen der Hexerei beschuldigte Frauen und Männer bis zu ihren Prozessen geschmachtet haben. „Bis ins 18. Jahrhundert wurden Menschen in Neustadt-Glewe und Umgebung öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt“, erzählt Britta Kley aus einem dunklen Kapitel der Geschichte.
Wesentlich beschwingter ging es in dem im 16. Jahrhundert aufgesetzten Wohngeschoss des Turms zu. Verteidigung spielte jetzt keine Rolle mehr. Davon zeugen große Fenster mit Vorhangbögen, in deren Nischen man Platz nahm, plauderte und auf die liebliche Landschaft zu Füßen des Turms schaute – echte Burgromantik eben. Ein Kamin und ein Abort-Erker sorgten zusätzlich für Komfort.
Und so erzählt Neustadt-Glewes Burg die Geschichte eines Landstrichs genauso wie die der Menschen, die hier zu Hause waren. Eine gut aufbereitete Ausstellung macht das Entdecken auf eigene Faust leicht. Wer eine Führung wählt, erfährt zusätzlich manch spannende Anekdote.
Katja Haescher