Zum Inhalt springen

Zwischen Himmel und Erde

Balkonien ist überall: Schönste Balkone in Westmecklenburg gesucht

Balkone in Ludwigslust Foto: Rainer Cordes

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Oder in diesem Fall besser gesagt davor: auf den Balkon. Nicht auf einen bestimmten, sondern den Balkon im Allgemeinen, der mehr ist als ein paar Quadratmeter vor der Hauswand.

Zu Hause bleiben. So lautet aktuell der Leitspruch, der für jeden von uns eine besondere Herausforderung bedeutet. Wer einen Balkon besitzt, wird ihn jetzt besonders lieben. Denn egal, wie klein der Freisitz ist: Die Möglichkeiten darauf sind nahezu unbegrenzt. Zeit also für eine kleine Kulturgeschichte des Balkons.

Die Definition im Duden klingt etwas unromantisch: „Vom Wohnungsinnern betretbarer offener Vorbau, der aus dem Stockwerk eines Gebäudes herausragt“. Dabei ist ein Balkon ungleich viel mehr. Man kann sich darauf sonnen, gärtnern, Gummihühner halten, in die Sterne gucken, am Computer sitzen, Cocktails schlürfen, Wäsche trocknen, tafeln, Urlaub machen –„Balkonien“ ist fast schon ein geflügeltes Wort. Auch die Gestaltungsmöglichkeiten sind unbegrenzt. Der eine hat den Gartenzwerg im Blumenkasten, der andere den Bierkasten unter der Balustrade. Der eine pflegt hingebungsvoll seine Tomatenpflanzen, während ein anderer die Gummipalme aufbläst und sich frei von gärtnerischen Verpflichtungen der Erholung widmet.

Die ersten Balkone enstanden vermutlich bereits vor Christi Geburt. Der sumerische Stadtfürst Gudea, ein leidenschaftlicher Bauherr, soll vor 4000 Jahren seinen Palast damit geschmückt haben. Spätestens mit dem Repräsentationsdrang des Bürgertums sprossen Balkone an zahlreichen Fassaden. Denn der Austritt in der Höhe war immer auch eine Demonstration von Macht und Bedeutung. Der Papst, die Queen, der FC Bayern München, sie alle sind regelmäßig auf dem Balkon zu sehen. Denn der zeigt sehr schön, wo oben und wo unten ist.

So bedeutungsgeladen hat der Balkon natürlich auch in der Literatur einen Platz. Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf hat ihr Pferd darauf untergebracht und das Liebesgeflüs­ter von Romeo und Julia ist als „Balkonszene“ in die Geschichte eingegangen. Zwar fällt dieses Wort bei Shakespeare gar nicht, der von „Julia am Fenster“ schreibt. Und auch der so berühmte Balkon an der „Casa di Giulietta“ in Verona ist eine Fälschung. Wahrscheinlich hatten die Veroneser irgendwann keine Lust mehr, das Nichtvorhandensein dieses Orts zu erklären und nahmen kurzerhand einen antiken Sarkophag, um ihn an die Wand des Julia-Hauses zu montieren – passt, sieht gut aus und wenn‘s auch falsch ist: Den Verliebten ist‘s egal.

Heute sind Balkone aus dem Gesicht von Städten nicht mehr wegzudenken. Einige der schönsten Exemplare befinden sich oft an Rathäusern: Ludwigslust, Hagenow, Wismar, Neustadt-Glewe, überall Balkone. In der dörflichen Architektur spielt er weniger eine Rolle, hier wurde kein Freisitz vor der Hauswand gebraucht. Lediglich Gutshäuser wurden gern mit repräsentativen Balkonen geschmückt – die Sache mit dem Oben und dem Unten spielte auch hier eine wichtige Rolle.

Und apropos repräsentieren: Gingen die fürs Gesehenwerden be­nö­tig­ten Balkone früher naturgemäß zur Straßenseite, sind bei Stadtbewohnern von heute die Freisitze nach hinten, wenn möglich Süd­seite, beliebt. Blühende Mini-Oasen sind nicht zuletzt Schnell-Res­taurants für viele Insekten und leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt.

Die allerbeste Balkonzeit ist jetzt. Alles ist frisch bepflanzt und das große Wachsen und Blühen be­ginnt. Wo sind die schönsten Balkone in Westmecklenburg? Schicken Sie uns gern ein Foto von Ihrem Lieblingsplatz an redaktion@journal-eins.de.

Katja Haescher