Zum Inhalt springen

Der Stolz einer Stadt

Mittelalterliches Rathaus von Parchim wurde im 19. Jahrhundert komplett umgebaut

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal im Parchimer Rathaus, das vom Stolz einer Stadt erzählt – und davon, wie im 19. Jahrhundert umgebaut wurde.

Johann Georg Barca war nicht zimperlich. Als der Land- und Hofbaumeister 1818 den Auftrag zum Umbau des Parchimer Rathauses für das Mecklenburgische Oberappelationsgericht bekam, hielt er sich mit bestehenden Strukturen nicht lange auf. Das ging so weit, dass Zeitgenossen sogar von einem „neu gebauten Tribunal“ sprachen – Barca hatte dem Rathaus das Mittelalter gründlich ausgetrieben. Dabei brachte das Gebäude am Parchimer Schuhmarkt jede Menge Tradition mit – ganz abgesehen von den oberirdisch mehr als einen Meter
dicken Mauern, die wie geschaffen dafür schienen, die Jahrhunderte zu überdauern. In seiner Substanz ist das Rathaus ein gotischer Fachwerkbau aus dem 14. Jahrhundert. Im 13. Jahrhundert war Parchim zur Stadt geworden
und entwickelte rund um die Georgenkirche ein städtisches Zentrum, das mit der um die Marienkirche entstehenden Neustadt seine Ergänzung fand. Dank der günstigen Verkehrslage und des Reichtums an Acker, Wiesen und Wald in der städtischen Feldmark wuchs eine mächtige mecklenburgische Landstadt heran.
Klar, dass sich diese Macht auch nach außen darstellen wollte und die Parchimer Ratsmänner einen Treffpunkt brauchten.

Das Parchimer Rathaus mit dem von Barca angelegten Eingang Foto: Axel Schott

Es entstand das Rathaus, das zur gleichen Zeit Funktionsbau und Wahrzeichen städtischer Selbstständigkeit
war. Über das Aussehen des mittelalterlichen Baus geben Archivalien Auskunft, nach denen Rekonstruktionszeichnungen entstanden sind. Ein darauf fußendes Bild ist heute im Treppenhaus des Rathauses zu sehen. Es zeigt eine rechteckige Laube an der Schmalseite des Gebäudes zum Alten Markt hin, deren Länge der Breite des Bauwerks entsprach. Bürger konnten diese Laube von drei Seiten aus betreten. Innerhalb der Laube – übrigens Tagungsstätte des Niedergerichts – befand sich auch der Eingang. Das Erdgeschoss bestand aus einem einzigen Raum, einer Kaufhalle, in der die Ratswaagen standen. Dies spiegelt einen wichtigen Aspekt mittelalterlicher Rathäuser, die oft für Geschäftliches genutzt wurden. Im Parchimer Rathaus waren es ab 1370 die Wandschneider, also die Händler mit auswärtigen Tuchen, die hier ihre Verkaufsstände hatten. Die Ratsherren tagten im Obergeschoss und natürlich durfte ganz unten auch ein Weinkeller nicht fehlen.
Der Keller ist heute der Raum, in dem das Mittelalter noch fühlbar ist – auch wenn inzwischen ein Fahrstuhl dorthin führt. Das Kreuzrippengewölbe ruht auf achteckigen Pfeilern und ist größtenteils noch im Original erhalten.
Ansonsten trägt das Parchimer Rathaus deutlich die Handschrift Barcas, der aus Gotik Neogotik machte und Klassizistisches hinzufügte. Dazu muss man sagen, dass es vor dem grundlegenden Umbau aber auch nicht gut um das Gebäude gestanden hatte, das im Lauf seiner Geschichte zudem Sitz der Finanzverwaltung, verschiedener Gerichte, Verpflegungsmagazin, Stall und Scheune gewesen war.
Heute ist das Rathaus wieder Dienstsitz des Parchimer Bürgermeisters. Es beherbergt Büros, Beratungssäle und den Sitzungssaal auf drei Etagen – Barca hatte eine zusätzliche in das Gebäude eingebaut. Auch die Verlegung des Haupteingangs an die Querseite zum Schuhmarkt, flankiert von vier weiß verputzten Halbsäulen in einem neuen
Nordostgiebel, und die hohen Spitzbogenfenster gehen auf seine Pläne zurück. Der gotische Schaugiebel über der Laube war bereits 1808 wegen Baufälligkeit abgerissen worden.
In den 1990er-Jahren erhielt Barcas Rathaus eine gründliche Sanierung. Neu hinzugefügte Elemente sind als solche erkennbar. Und mit einer modernen technischen Ausstattung ist das Mittelalter längst im 21. Jahrhundert angekommen.

Katja Haescher