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Gefährtin des Windes

Die Erdholländer-Windmühle in Wittenburg erzählt Technikgeschichte aus erster Hand

Die ebenerdig gebaute Anlage in Wittenburg wird als Erdholländer-Windmühle bezeichnet. Foto: Volkmar Eggert

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in Wittenburg, wo eine Windmühle seit 1876 Flügel in den Wind streckt.

Es gibt Wände, Türen, Fenster, ein Dach. Und trotzdem ist eine Windmühle streng genommen kein Haus. „Es ist eine Maschine“, sagt Tino Oberhack, der zum Freundeskreis der Mühle Wittenburg gehört. Jedes Bauteil hat hier seine Funktion und trägt am Ende dazu bei, dass die Mühle klappern kann. Und das tut die Erdholländer-Windmühle in Wittenburg durchaus – wenngleich nicht im Mahlgang.

Die Flügel sind nämlich aus Sicherheitsgründen festgestellt. Was sich dennoch bewegt, ist die Haube, also der obere Teil der Mühle, an der das Flügelkreuz befestigt ist. Sie dreht sich in den Wind und zwar so, dass dieser von vorn kommt. Dafür sorgt die Windrose, ein kleines Seitenrad mit großer Bedeutung: „Die Mühle ist durch das Gewicht der Flügel vorderlastig. Würde der Wind von hinten drücken, könnte er im schlimmsten Fall die Flügel und mit ihnen gleich die ganze Haube zu Fall bringen“, erklärt Oberhack.

Er ist fasziniert vom Ineinandergreifen der Wellen und Räder. Um das technische Denkmal richtig zu pflegen, zu wissen, was wo zu schmieren ist und neugierige Fragen von Besuchern zu beantworten, hat Tino Oberhack eine mehrtägige Schulung in „Mühlenkunde“ absolviert. Er weiß, wozu die einzelnen Gerätschaften nütze sind: der Kran, um die tonnenschweren Mühlsteine zu heben, der spitze Hammer, um die Rillen im Stein nachzuschärfen, der Sichter, um Schalenteile, Gries und Mehl voneinander zu trennen. Dann wäre da auch noch die zweite Tür, sehr wichtig bei einer Erdholländer-Windmühle: Dreht die sich in den Wind, kann es vorkommen, dass die nah am Boden befindlichen Flügel­enden einen Ausgang versperren.

15 Meter hoch ist die Wittenburger Mühle, das Flügelkreuz hat einen Durchmesser von mehr als 22 Metern. Ursprünglich hatte ein Müller namens Hoffmann 1876 auf der kleinen Anhöhe eine Bockwindmühle errichten lassen; 1890/91 entstand dann auf deren Fundament eine modernere Holländerwindmühle. Später versuchten Müller hier sogar, dem Wind die Arbeit abzunehmen und das Mahlwerk per Dampfmaschine oder Dieselmotor in Betrieb zu setzen.

Nach dem zweiten Weltkrieg nahm sich ein Mühlenbauer mit Namen Wulff der damals schon verfallenen Anlage an. 1947 wurde dann wieder mit Windkraft gemahlen, bis 1955 ein Sturm der Windmüllerei ein Ende setzte. Knapp zwei Jahrzehnte lief der Betrieb noch elektrisch, bevor das Gewerbe 1971 abgemeldet wurde. 1979 öffnete die Stadt Wittenburg ihr Mühlenmuseum. Seitdem ist die Mühle zum Anschauen da – und besonders Kinder staunen, was alles passieren muss, bis endlich Mehl in einer Tüte steckt.

Um das technische Denkmal kümmern sich im Freundeskreis rund 30 Enthusiasten. Besonders dankbar ist Tino Oberhack für das eingebrachte Engagement von Norbert Fenske, der vor einem Jahr starb: „Er hat einfach alles über die Mühle gewusst.“ Und Unterstützung kommt aus vielen weiteren Richtungen – zum Beispiel von der Stadt, mit welcher der Freundeskreis eine gute Zusammenarbeit pflegt. Nachdem die Mühle in den 2000er-Jahren zunehmend verfiel und 2010 mit einem Notdach gesichert werden musste, konnten 2014 Fördermittel für eine umfassende Sanierung eingeworben werden.

Die erfolgte im gleichen Jahr: Wo möglich, blieben alte Eichenbalken im Innern stecken, andere Teile der Konstruktion wurden erneuert. Rund 29.000 Holzschindeln aus Rot-Zeder bilden jetzt die äußere Hülle, die Flügel bestehen aus leichtem Aluminium – trotzdem bringt das Kreuz mit Bruststücken noch 6,2 Tonnen auf die Waage.

Der spannendste Raum befindet sich für Tino Oberhack direkt unter der Haube, wo das gewaltige Kammrad aus Holz über die damit verbundene Rutenwelle die Drehbewegung der Flügel auf die Königswelle überträgt – vorausgesetzt natürlich, die Mühle würde in Betrieb genommen. Allerdings ist dies nicht geplant. Für Schauvorführungen, wie sie zum Beispiel am Mühlentag regelmäßig auf dem Gelände stattfinden, treibt ein kleiner Elektromotor die Flügel an. 

Katja Haescher