Die Geschichte von Wismars Baumhaus ist noch heute eng mit der Schifffahrt verbunden
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal: im Baumhaus am Alten Hafen von Wismar.
Es ist ein Arbeitsplatz mit Aussicht. Im Sommer lässt Sylvia König die Außentür auf und blickt direkt vom Empfangstresen auf die Silhouette von Wismar. Auf den steil emporragenden Turm von St. Marien und das hohe Schiff der Nikolaikirche, die dem Schutzpatron der Seefahrer geweiht ist. Auf die flanierenden Touristen, die Räucherfischkutter, die alten Speicher und Silos. Und damit ist Sylvia König mittendrin in Wismars maritimem Erbe, dem jetzt eine Ausstellung im Baumhaus am Alten Hafen gewidmet ist.
Das Baumhaus selbst ist Teil dieser Geschichte. Seinen Namen bekommt es weniger von den beiden Linden vor der Tür, als von seiner einstigen Funktion als Wächterhaus: An dieser Stelle musste der „Bohmschlüter“ vor Einbruch der Nacht eine Kette vor die Hafeneinfahrt ziehen und den Hafen mit einem Schlagbaum sichern. „Hier war natürlich ein neuralgischer Punkt“, sagt Sylvia König. Wer die Hafeneinfahrt passiert hatte, stand vor der Stadtmauer. Unerlaubtes Einlaufen galt es aber auch aus anderen Gründen zu verhindern: Neben den Waren reisten häufig auch Krankheiten mit den Schiffen.
Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts soll es deshalb in Wismar ein Haus „up‘n Bohm“ gegeben haben. Dieses Gebäude wurde Mitte des 18. Jahrhunderts durch das heutige Baumhaus ersetzt. Das Ziegelgebäude im Barockstil war der Sitz des Hafenmeisters, der hier auch eine Dienstwohnung hatte. An seine Zeit erinnert eine Windrose an der Decke des Foyers, die über eine Stange mit der Wetterfahne auf dem Dach verbunden ist. „Der Hafenmeister brauchte seine Nase also nicht in den Wind zu stecken“, sagt Sylvia König. Ob nun Nord-Nordwest oder Süd-Südost, alles ließ sich bequem von der bunten Scheibe im Innern des Hauses ablesen. Durchaus gemütlich – um so mehr, da der Hafenmeister eine Zeitlang sogar über das Schankrecht verfügt haben soll. „Das wurde ihm allerdings schnell wieder entzogen, vielleicht, weil es sich für eine Amtsperson nicht schickte“, sagt Sylvia König.
Sie betreut zusammen mit ihrem Mann Werner König und Gerd Lemke die Ausstellung im neu geschaffenen maritimen Traditionszentrum. Die drei gehören zum Förderverein „Poeler Kogge“, der das Baumhaus von der Stadt 2018 in Erbbaurecht übernahm und seitdem zusammen mit den Fördervereinen „Schoner Atalanta“ und „Marlen“ mit Leben füllt. Die Ausstellung widmet sich der Geschichte von Hafen und Werft, erzählt aus der Zeit der Hanse und legt den Fokus auf die drei Schiffe, denen sich die Vereinsmitglieder verschrieben haben. Ein besonders spannendes ist eine Kogge, die 1999 vor Poel gefunden wurde und deren Nachbau, die „Wissemara“, noch heute die Zeit der Hanse wieder aufleben lässt. Regelmäßig nimmt die Koggen-Crew, zu der auch Sylvia und Werner König gehören, Touristen mit an Bord, verschiedene Touren sind im Angebot. „So nah am Wasser ist man auf keinem Kreuzfahrtschiff“, schwärmt Sylvia König, die sich selbst als echtes „Küstenkind“ bezeichnet und sich freut, wenn sie vom Baumhaus die Kogge an deren Liegeplatz im Alten Hafen sieht.
Das unter Denkmalschutz stehende Haus als maritimes Zentrum kommt bei Touristen und Einheimischen gut an. Täglich kommen zahlreiche Besucher durch die von zwei Schwedenköpfen flankierte Tür. Auch die bunten Herren haben ihren Platz vor dem Baumhaus nicht erst seit gestern. Die so genannten Herkulesbüsten waren ursprünglich barocke Schiffsdekorationen und standen später auf Dalben in der Hafeneinfahrt. Dort beschädigte sie 1902 ein finnisches Schiff. Anschließend wurden Nachgüsse von den Köpfen angefertigt, ein Original befindet sich heute im stadtgeschichtlichen Museum. Die beiden Herkulesköpfe vor der Tür des Baumhauses sind also Repliken und wachten bereits zu Zeiten des Seefahrtsamts, das sich zu DDR-Zeiten hier befand, über den Eingang.
Später war das Baumhaus noch eine kleine Galerie, nun erzählt es als Ganzes und mit einer ambitionierten, von den Vereinen zusammengestellten Ausstellung Seefahrtsgeschichte. Und wer jetzt schon immer mal wissen wollte, wie das Kalfatern funktioniert oder was ein Krängungsmesser ist, der sollte sich die Präsentation unbedingt anschauen. Geöffnet ist von April bis Oktober montags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr und von November bis März freitags bis sonntags von 11 bis 15 Uhr.