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Bahnhof soll wieder erwachen

Karow war einst Verkehrsdrehscheibe, dann wurde es still / Nun gibt es Visionen für das Areal

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal im Bahnhof Karow, der einst eine Drehscheibe des Verkehrs war.

Bahnhof Karow
Heruntergekommen, aber nicht abrissreif: Der Bahnhof Karow besteht aus roten Ziegeln aus dem Karower Meiler. Foto: Martin Hocher

Die graugrünen Personenzüge stehen dicht an dicht. Unzählige Menschen steigen aus und ein oder laufen über die Bahnsteige. Im Hintergrund fahren zwei Güter­züge ein. Die Szenerie, die ein Foto aus den 1980er Jahren zeigt, war damals in Karow Alltag. Der Bahnhof galt zu dieser Zeit als Mecklenburgs größter Dorfbahnhof und bedeutender Knotenpunkt im Personenverkehr. „In den siebziger und achtziger Jahren hatte er seine Hochform und wurde sogar Ausbildungsbahnhof“, schreibt der Bahnexperte Dietmar Jonas. Mit zahlreichen Güterzügen, die zusehends länger und schwerer wurden, rangierte man auch. „Das merkte jeder, der länger vor den Schranken stehen musste“, so Jonas.

„Viele Karower sind gewissermaßen vor den geschlossenen Schranken groß geworden“, erzählt auch der heutige Ortsvorsteher Ralf Perske. Stillstand herrschte auf dem Bahnhof nie: In den umliegenden Häusern wohnten Leute, ebenso wie im Empfangsgebäude. Dort befanden sich eine Gaststätte und zeitweise eine Post. Vom Drehkreuz Karow gelangte man nordwärts Richtung Güstrow und Rostock, südwärts in Richtung Plau und weiter nach Brandenburg, westwärts nach Lübz und Parchim oder Sternberg und ostwärts Richtung Malchow, Waren und Neustrelitz.

Nach der Wende wurde es ruhig auf dem Bahnhof. „Es gab nichts mehr per Eisenbahn zu befördern“, meint Dietmar Jonas. Auch die Menschen reisten weniger mit der Bahn. Oder nutzten sie sie weniger, weil es sie kaum noch gab? In Karow sperrte man Gleise und reduzierte Personal. Aus mehr als 20 Gleisen wurden zwei Doppelgleise mit Bahnsteig dazwischen.

Dort installierte man einen Wetterschutz. Er sollte in gewisser Weise das große Dach vor dem Empfangsgebäude ersetzen, das 1995 entfernt worden war. Die Fußgängerbrücke über die Schienen, erst Anfang der Neunziger renoviert, wurde 2000 aus Sicherheitsgründen gesperrt. Die Gaststätte schloss 1999 endgültig. 2003 zog die letzte Mieterin aus dem Empfangsgebäude aus. Auch die umliegenden Häuser auf dem Gelände leerten sich nach und nach. Die Gebäude, von denen mehrere gleichzeitig mit dem Bahnhof im Jahr 1882 entstanden und die aus roten Ziegeln vom Karower Meiler bestehen, haben eine gute Substanz. Zwölf von ihnen befinden sich auf der Baudenkmalliste des Landkreises Ludwigslust-Parchim: unter anderem die beiden markanten Wassertürme, die zwei Stellwerke und das Empfangsgebäude. „Vieles auf dem Gelände ist verwahrlost und zugewachsen. Aber die Gebäude sind alles andere als abrissreif, die Stellwerke voll funktionstüchtig. Es müsste nur wieder Leben rein“, sagt der Ortsvorsteher. Erste Schritte für die Gebäude, die nicht direkt zum Bahnbetrieb gehören, sind nun getan: So kaufte der Investor Christian Lind 2023 die sogenannten „Arbeiterhäuser“ neben der Landstraße und saniert sie. Im kommenden Sommer sollen sie fertig sein. Er möchte auch das Empfangsgebäude und die davor liegenden „Beamtenhäuser“ erwerben. Nach seinen Plänen sollen in allen reguläre Wohnungen entstehen.

Die Gleise und die Signalanlagen sind im Besitz des Betreibers des Bahnhofs, der Regio Infra Nordost GmbH. Der Betreiber hatte 2019 mitgeteilt, die Strecken Parchim-Malchow und Plau am See-Güs­trow wegen Perspektivlosigkeit stillzulegen. Dort hatten über die Jahre neben sporadischem Güterverkehr auch während der Saison private Eisenbahngesellschaften Personen befördert.

Gegen die Stilllegung protestierte erfolgreich die „Bürgerinitiative für den Erhalt der Südbahn“. Man habe damals rund 15.000 Unterschriften zusammenbekommen, berichtet Sprecher Clemens Russell. Langfristig möchte die Initiative nicht nur die Südbahn, sondern das gesamte Drehkreuz Bahnhof Karow wiederbeleben. Unterstützt von fünf ihrer Landkreise haben die Länder MV und Brandenburg eine Studie in Auftrag gegeben, die ermitteln soll, welchen Nutzen das Projekt hätte und welche Kosten damit verbunden wären. Mit Ergebnissen wird demnächst gerechnet. „Unsere Vision heißt Karower Kreuz 365 +. Das heißt, dass die Ost-West-Verbindung und die Nord-Süd-Verbindung wieder dauerhaft belebt und intelligent an den Busverkehr angebunden werden, und zwar jeden Tag im Jahr“, betont Clemens Russell. Im Idealfall könnten dann stündlich Züge von Karow aus in die wichtigsten Richtungen fahren. So wäre es attraktiv, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Und der Bahnhof Karow würde wieder das, was er einst war: eine lebendige Drehscheibe.
Beate Diederichs