Bjarne Meyer ist in der Landeshauptstadt geboren, nach Übersee ausgewandert und nun zurückgekehrt
Ein Interview in deutscher Sprache? „Klar“, sagt Bjarne Meyer, „das machen wir. Aber korrigier‘ mich bitte, wenn ich Fehler mache, ich will mein Deutsch verbessern.“ Ein ungewöhnlicher Satz aus dem Mund eines gebürtigen Schweriners, dessen Mutter aus der Landeshauptstadt und dessen Vater aus Verden stammt. Aber Bjarne hatte sein Deutsch nahezu vergessen: Er war zwei Jahre alt, als die Familie nach Kanada auswanderte. „Natürlich wollten meine Eltern schnell perfekt Englisch lernen und haben dann auch mit uns Kindern Englisch gesprochen“, erinnert sich der 23-Jährige.
Seit zwei Jahren ist Bjarne nun dabei, wieder Licht ins deutsche Sprachdunkel zu bringen: 2021 zog er nach Schwerin – mit dem Ziel, in Deutschland zu studieren. Seinen Geburtsort wählte er dabei ganz bewusst aus: Großeltern und andere Verwandte sind hier nach wie vor zu Hause und halfen ihm bei den ersten Schritten in der Fremde. „Meine Oma und mein Opa sprechen kein Englisch und als ich hier ankam, war mein Deutsch etwa auf dem Level A2. Das hat trotzdem gut geklappt, Fragen wie ,Was essen wir heute?‘ konnte ich ja stellen“, sagt Bjarne lachend.
Aktuell büffelt er für die Sprachprüfung C1, die eine kompetente Sprachverwendung auf fortgeschrittenem
Niveau bescheinigt. Das braucht der junge Schweriner für das Physikstudium, das er sich vorgenommen hat. „In Rostock oder Hannover, mal sehen, wo es klappt“, ist Bjarne optimistisch. Mit der Studienrichtung will er
sich einen Traum erfüllen. „Zwischendurch habe ich mal gedacht: Okay, dann studiere ich eben Informatik, damit kann ich Geld verdienen. Aber dann bin ich älter und schlauer geworden – ich weiß jetzt, wo mein Herz liegt“, sagt der 23-Jährige. Nämlich bei den Sternen: „Für mich gibt es nichts Schöneres, als die Sterne anzuschauen“, sagt Bjarne. Oft ist er dafür nachts unterwegs. Der Traum von der Astrophysik soll nun in Deutschland wahr werden. „In Kanada ist es unglaublich teuer zu studieren, da kommen im Monat schnell 6000 Dollar für die Universität zusammen“, erzählt Bjarne. In Deutschland schätzt er die Vielzahl der Chancen: „Wenn ich hier zum Beispiel
das Abi nicht schaffe, gibt es viele andere Möglichkeiten.“ Das sind natürlich nicht die einzigen Unterschiede zwischen den beiden Ländern. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich Schnee vermissen würde“, sagt Bjarne. Der gehört in Calgary nahe den Rocky Mountains zum Winter unweigerlich dazu. Den Parka, den Bjarne aus Calgary mit nach Schwerin genommen hat, hat er noch nicht einmal angezogen – bisher war es nie kalt genug. Was ihm auch fehlt: Kanada ist ein sehr junges Land und sehr bunt gemischt. Viele seiner Freunde dort kamen aus Asien, aus Afrika. Daher, meint Bjarne, stammt möglicherweise auch seine Vorliebe für scharf gewürztes Essen.
„Wenn ein Deutscher etwas isst, weiß ich inzwischen, dass es auf keinen Fall zu scharf für mich ist“, sagt er lachend.
An seiner Geburtsstadt Schwerin schätzt Bjarne das Wasser und die Schönheit der alten Gebäude, die kurzen
Wege – und dass man sich leicht zweimal trifft. Auch im Job ist er gut angekommen. „In Calgary habe ich bei Starbucks gearbeitet, da gab‘s schon mal von Gästen das Getränk ins Gesicht, weil ihnen irgendetwas nicht passte“, sagt er und schwärmt von seinem aktuellen Arbeitsplatz in der Rösterei Fuchs. „Das ist eine ganz andere Mentalität. Das Team und auch die Gäste sind freundlich und man sieht sich ja auch in der
Stadt immer wieder.“ Um Job und Sprachkurs und Studienvorbereitung unter einen Hut zu bekommen, schreibt sich der 23-Jährige selbst einen Wochenplan. Der steht in einem blauen Notizbuch, das er stets bei sich trägt. „Fürs Lernen muss man sich Zeit nehmen. Einfach zu sagen, ich mach‘s dann mal nach der Arbeit, geht nicht“, sagt er und taktet die Zeitblöcke fürs Deutschpauken in seinen Tagesablauf ein. Schließlich ist die Sprache auch nicht unbedingt eine, die einfach zu nennen ist. „Wenn ich sage: ,Die Milch von der Kuh‘, warum heißt es dann später plötzlich wieder ,die Kuh‘? Wie ist es mit Relativsätzen, lokalen, temporalen und modalen Präpositionen, mit Plusquamperfekt und Kasus“, sagt Bjarne und stellt damit Fragen, die auch viele deutsche Muttersprachler nicht beantworten können.
Apropos Deutsch: Manchmal, sagt der 23-Jährige, findet er es ganz kurios, dass er jetzt in seiner Heimatstadt Schwerin „der Kanadier“ ist. „In Kanada war ich nämlich der Deutsche“, erinnert er sich – und auch daran, immer das Beste daraus gemacht zu haben: „Ich konnte dann schließlich auch bei der WM für Deutschland sein.“ Ganz allein ist Bjarne übrigens nicht nach Schwerin gekommen: Er hat seine Haustiere mitgebracht, zwei Wellensittiche und zwei Nymphensittiche. An den Tieren hängt er sehr – in Calgary war er sogar in einem entsprechenden Verein.
Möglicherweise könnte er auch in Schwerin Gleichgesinnte finden, aber aktuell ist dafür keine Zeit, sagt er. Dann muss er los: zum Deutschkurs.
Katja Haescher