„Rochen, Lachs, Scholle“ ist an einer Vitrine mit Ohrringen und Ketten zu lesen. Daneben „Papageifisch, Barsch und Stör“. Fische im Schmuckladen? Während sich die einen jetzt wundern, haben die anderen längst angebissen. Denn die Schmuckstücke, die Ramona Stelzer in Wismar aus Fischleder herstellt, sind etwas ganz Besonderes. Das haben in den zurückliegenden Jahren auch viele Reporter festgestellt.
„Wir haben Sie im Fernsehen gesehen.“ Der Satz fällt an diesem Vormittag immer wieder. Zahlreiche Urlauber betreten das lichtdurchflutete Geschäft in der Krämerstraße auf der Suche nach einer besonderen Erinnerung – und mit vielen Fragen. Wie wird Fischhaut zu Fischleder? Ist das überhaupt reißfest? Und – riecht es vielleicht? Ramona Stelzer nimmt sich gern Zeit für neugierige Besucher. Schließlich weiß sie, dass sie sich einem Material verschrieben hat, das viel Aufklärungsarbeit braucht. Und um die Fragen zu beantworten: Fischhaut wird gegerbt, ist danach zehnmal so reißfest wie Kalbsleder und hat keinen auffälligen Geruch.
Was es hat, ist eine exotische Schönheit. „Rochen zum Beispiel ist sehr elegant“, schwärmt Ramona Stelzer. „Auf der Haut befinden sich kleine Hornkügelchen, die geschliffen und poliert werden und danach wie Steine funkeln.“ Barsch, Tilapia und Papageifisch wiederum lassen eine wunderbare Struktur erkennen. „Zwar werden die Fischschuppen vor dem Gerben entfernt, aber die Schuppentaschen sind ja noch vorhanden und sorgen für eine interessante Oberfläche“, erklärt die 37-Jährige. Aal wiederum ist eher glatt, Stör wirkt robust und narbig.
Angesichts dieser Vielfalt ist es wenig verwunderlich, dass Ramona Stelzer vom Fischleder fasziniert ist. Als sie ihr Designstudium an der Hochschule Wismar begann, wusste sie über das Material so viel – oder so wenig – wie andere Menschen. Während eines Projekts im Bereich Schmuckdesign zeigte ihr eine Professorin dann ein dunkelrotes Stück Seewolfleder, dessen Farbe und Maserung die Studentin sofort begeisterten. Sie begann zu recherchieren, stellte fest, wie wenig bekannt das Naturprodukt Fischleder ist – und sah eine mögliche Nische für die berufliche Selbstständigkeit.
Die Voraussetzungen dafür waren gut, denn Ramona Stelzer ist gelernte Goldschmiedin. Aus Baden-Württemberg stammend, lernte sie den Beruf in Hanau und zog anschließend weiter gen Norden. „Ich wollte studieren und Wismar hatte einfach die schönste Hochschule“, sagt sie und fügt hinzu: „Außerdem dachte ich, fünf Jahre Ostsee sind bestimmt nicht schlecht.“
Es sind schon einige Jahre mehr geworden. Denn der Fisch hat Ramona Stelzer nicht losgelassen – und auch nicht fortgelassen. „Fischleder gehört einfach hierher in den Norden“, ist sie überzeugt.
Nach dem Diplom machte sie sich mit Schmuck aus Fischleder selbstständig. Dem ging ein längerer Prozess des Abwägens voraus, aber im Grunde war sie schon damals von dem Material überzeugt.
Die Zuversicht hat sich ausgezahlt, das eigene Unternehmen ist „organisch gewachsen“, wie Ramona Stelzer sagt. Auf einen kleinen Arbeitstisch bei einer Bürogemeinschaft im Hinterhaus folgte ein winziges Atelier in der Lübschen Straße und vor einem Jahr der Fischleder-Store in der Krämerstraße. Hier kann sie arbeiten, Kollektionen präsentieren und mit Besuchern ins Gespräch kommen.
Das Fischleder bezieht Ramona Stelzer bereits gegerbt und eingefärbt. Nur wenige Handwerker beherrschen heute noch diese alte Kunst, dabei ist die Verwendung von Fischleder gerade an den Küsten seit Jahrhunderten bekannt. „In Deutschland gibt es einen Gerber, der von einem indigenen Volk in Sibirien abstammt und mit der Verarbeitung von Fischhaut eine uralte Tradition seiner Vorfahren fortführt“, sagt die Designerin.
Gleichzeitig erschließt diese Kunst einen Rohstoff, der in Mengen anfällt und von dem nur ein winziger Teil genutzt wird. Das Fischleder ist ein Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie. Auch bei der Herstellung von Taschen und Accessoires kommt es zum Einsatz – einige Produkte von Kollegen präsentiert Ramona Stelzer ebenfalls in ihrem Fischleder-Store. Das Hauptaugenmerk liegt hier natürlich auf ihren eigenen Kollektionen. Es sind Schmuckstücke mit klaren Linien, deren schlichte Form das eingefasste Leder brillieren lässt – ob als „Goldfisch“ oder in der Silberveredlung. Bevor ein Ring oder eine Kette entsteht, sucht die Designerin mit einer Schablone das ausgewählte Lederstück nach einem besonders passenden Muster ab. Immer geht sie sorgsam mit dem kostbaren Material um – das zeigen die eng gesetzten Löcher und Ausstanzungen.
Auszeichnungen, wie der Lilienthal-Designpreis von MV, der Titel einer Kreativpilotin und die Auszeichnung im IHK-Wettbewerb „Erfolgsraum Altstadt“ im vergangenen Jahr geben ihr Bestätigung auf ihrem Weg. Und wenn sie gerade nicht in der Manufaktur an neuen Geistesblitzen feilt, genießt sie das Leben dort, wo andere Urlaub machen – gern auch mal mit einem schönen Stück Fisch. „Lachs zum Beispiel kaufe ich immer mit Haut, die schimmert ganz wunderbar“, sagt Ramona Stelzer. Und was passiert mit dieser Haut? Sie lacht: „Die esse ich mit!“ Katja Haescher