Ludwigsluster Stadtkirche entstand im 18. Jahrhundert im Zuge des planmäßigen Ausbaus der Stadt
Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Stadtkirche Ludwigslust, die von der Geschichte einer Residenz erzählt.
An Friedrich dem Frommen kommt man einfach nicht vorbei. Nicht in der Geschichte und auch nicht in der Kirche selbst, in welcher der Sarkophag des Herrschers prominent im Mittelgang steht und Brautpaare vor die Frage stellt: Trennen wir uns hier beim Vorbeigehen schon zum ersten Mal? Es war der Herzog, der im 18. Jahrhundert Ludwigslust zur Planstadt ausbauen ließ – und dabei mit der Kirche begann. Schließlich trug Friedrich nicht ohne Grund den Beinamen „der Fromme“ und wollte Jesus Christus, dem „großen Erlöser der Sünder“ hier einen Tempel weihen. So steht es in lateinischen Worten im Giebelfeld des Portikus. Bekrönt wird das Gebäude vom Christusmonogramm, den übereinander stehenden griechischen Buchstaben Chi und Rho.
„Einige Besucher lesen darin Pax, das lateinische Wort für Frieden, aber die Symbolik des Christogramms ist bewusst gewählt“, sagt Hans-Joachim Marschall. Der profunde Kenner der Stadtkirche führt regelmäßig Besucher durch das Gotteshaus und erklärt dabei, dass Herzog Friedrich und sein Architekt Johann Joachim Busch darin nichts dem Zufall überließen.
Das gilt auch für andere Teile des barocken Ensembles. Stadtkirche und Schloss bilden die Endpunkte einer Strecke, die vom Ehrenhof des alten Jagdhauses aus gedacht wurde. Um diesen Bezug herzustellen, drehte Busch die Kirche um 90 Grad mit dem Chor in Richtung Süden. „Der Goldene Saal und der Altar befanden sich somit genau auf einer Linie“, erklärt Marschall. Saß der Herzog im Thronsessel, blickte er zumindest gedanklich auf das Kruzifix.
Die Zahlensymbolik der Bibel findet sich nicht nur bei der Abmessung der Strecke zwischen Schloss und einstiger Hofkirche, sondern auch in dem Gotteshaus selbst: Die Drei für die Trinität, die Vier als Zahl der Welt und die aus beiden bestehende Sieben als Zahl der Schöpfung tauchen immer wieder auf. Zehn Stufen – analog zu den zehn Geboten – führen zum Altar.
Dort öffnet sich dann der Himmel: Das Altarbild der Ludwigsluster Stadtkirche gehört zu den größten Europas – auf 350 Quadratmetern ist die Verkündigung an die Hirten dargestellt. Konzipiert wurde das Bild von Hofmaler Johann Dietrich Findorff, der damit für seinen Herzog den offenen Himmel in die Kirche holte. Allerdings konnte er das monumentale Werk nicht vollenden: Findorff starb 1772 und erst 1803 setzte sein Nachfolger Johann Heinrich Suhrlandt den letzten Pinselstrich. Gemalt ist das dreidimensionale Bild auf eine gewaltige Holzwand, auf der aufgesetzte Pappmaché-Platten den Eindruck von Natursteinen vermitteln.
Und überhaupt das Pappmaché. Es ist in Ludwigslust überall und so natürlich auch in der Stadtkirche. Pappmaché oder besser gesagt – der Ludwigsluster Carton – steckt in den Kerzen des Altars genauso wie in Stuckaturen, Schmuckleisten und den Quasten der Fürstenloge. „Hier wurden Steuerakten verbaut“, sagt Hans-Joachim Marschall und erklärt auch wie: In ein Model, also eine Hohlform, wurde Papierschicht auf Papierschicht gelegt und zwischendurch mit Leim fixiert – alte Akten ließen sich so bestens recyceln. Denn nach Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 war auch das herzogliche Portmonee leer, als Friedrich 1765 mit dem Bau der Kirche begann.
Hier hat der Herrscher auch seine letzte Ruhe gefunden. Inzwischen ruhen seine Gebeine im Kirchenboden unter dem im Mittelgang aufgestellten Sarkophag. Dieser wurde in der Schweriner Schleifmühle aus einem bei Groß Laasch gefundenen Findling geschnitten. Und natürlich hat Hans-Joachim Marschall auch dazu eine Anekdote parat: Weil Friedrichs Neffe und Nachfolger, Friedrich FranzI., sich darüber zu ärgern pflegte, dass einige Herren während des Gottesdienstes ihre Zylinder auf dem Sarkophag ablegten, soll er verfügt haben, sein eigenes Grabmal mit einem Spitzdach zu versehen – damit jeder Hut herunterrutschen müsste. So ist es auch gekommen – wie an Friedrich Franz‘ letzter Ruhestätte im Doberaner Münster zu sehen.
Katja Haescher