Mit allen Sinnen. Im Garten von Marina Kahrmann kommt genau dieser Gedanke; unter knorrigen Bäumen, neben zirpenden Grillen, die frisch geernteten Pflaumen auf dem Tisch. Es duftet nach Gras, das wachsen darf und beim Darübergehen weich ist wie ein Teppich. Es waren die alten Bäume, die Marina Kahrmann vor mehr als zehn Jahren das Gefühl gaben, hierherzugehören – und nach denen erst der zweite Blick dem Haus galt, das alt und baufällig war. Aber der Reihe nach.
Marina Kahrmann ist Mecklenburgerin mit Leidenschaft. „Ich durfte auf dem Fischland aufwachsen“, sagt sie. „Und es war schon ein beeindruckendes Gefühl, den Sonnenaufgang über dem Bodden durchs Küchenfenster sehen zu können.“ Den Sonnenuntergang gab es dann später auf der Ostseeseite, beim „Fern-Sehen“ mit Blick auf den Horizont. Dieses Leben auf Tuchfühlung mit der Natur hat sie geprägt – auch wenn es erst einmal zur Ausbildung in die Großstadt ging.
Das Abitur wurde Marina Kahrmann unter sozialistischen Bedingungen verwehrt. In Leipzig holte sie es nach und kehrte später zum Studieren in den Norden zurück – an die Universität Greifswald. Bei Professor Michael Succow, Träger des alternativen Nobelpreises und Initiator des Nationalparkprogramms für die ehemalige DDR, studierte sie Landschaftsökologie. „An Geografie hatte ich gedacht und an Biologie – und dann habe ich diese Studienrichtung gefunden, die eine Verbindung von beidem war. Oder vielleicht hat sie auch mich gefunden?“, sagt die Mecklenburgerin.
Denn dass sich plötzlich Chancen auftun, ist ihr immer wieder passiert – vielleicht, weil sie mit offenen Augen in die Welt blickt und den Mut hat, zuzugreifen. Nach zehn Jahren in Greifswald, in denen Marina Kahrmann studierte, an der Universität arbeitete und zwei Kinder bekam, orientierte sie sich neu. „Viele Kommilitonen gingen damals ins Ausland, haben im internationalen Naturschutz gearbeitet. Aber mein Mann ist auch Mecklenburger und wir haben beide gesagt, dass wir hier bleiben wollen“, erinnert sie sich sich.
2010 fand das Paar das Haus in Reimershagen, 25 Kilometer von Güstrow, 20 Kilometer von Goldberg entfernt. Als die Familie einzog, waren nur einzelne Räume nutzbar. Seitdem hat viel Arbeit dem Haus die alte Schönheit zurückgegeben – und immer noch ist viel zu tun. „Wer weiß, ob wir je fertig werden“, sagt Marina Kahrmann und lacht ihr ansteckendes Lachen. Doch es gibt Standortvorteile, die einfach unbezahlbar sind. Gleich um die Ecke zum Beispiel breitet sich der Naturpark Nossentiner/Schwinzer Heide aus und dort hat 48-Jährige eine Aufgabe, die sie herausfordert und begeistert. Anfangs in der Umweltbildung tätig, betreut sie nun das Projekt Sternenpark. Dahinter steckt das Anliegen, die Dunkelheit der Nacht zu schützen und das Erlebnis Sternenhimmel mit Besuchern zu teilen.
Marina Kahrmann selbst erlebte diesen Himmel, als sie ins ländliche Mecklenburg zog und plötzlich aus ihrem Garten wieder die Milchstraße sehen konnte. Dass dies nicht nur ein Schatz für Romantiker ist, wurde schnell klar. Der Naturpark ist ein Fledermausquartier von deutschlandweiter Bedeutung und hungrige Fledermäuse brauchen Insekten. Diese wiederum sterben oft in Lampen, Leuchtröhren und anderen Lichtquellen, von denen sie wie von Staubsaugern angezogen werden. Dagegen kann jeder auf seinem Grundstück etwas tun – zum Beispiel, indem Lampen nicht nach oben und zu den Seiten Licht abstrahlen. Warmweißes Licht mit einer geringen Beleuchtungsstärke ist ebenfalls ein Beitrag – genauso, wie die Hoflampe nachts auszuschalten. „Vom Schutz der Dunkelheit profitieren auch wir Menschen. So wird zum Beispiel das Schlafhormon Melatonin bei Dunkelheit gebildet“, erklärt die Ökologin. Für sie ist es eine Sternstunde, wenn zu Beobachtungen wie dem jährlichen Perseiden-Gucken bis zu 80 Menschen kommen und das Universum genießen.
Und apropos Universum: Dass alles mit allem verbunden ist, ist eine Wechselbeziehung, um die Marina Kahrmann in ihrem Fach weiß. Was sie durch Corona – und am liebsten möchte sie das Wort gar nicht aussprechen – erfahren hat, ist, dass auch die Menschen in engerer Beziehung zueinander stehen, als sie vielleicht meinen; wie sehr sie einander brauchen.
Genauso wichtig ist es der Mutter dreier Söhne, dass die Menschen zur Natur zurückfinden, dass sie den Reichtum entdecken, der in einem Waldspaziergang liegt oder im unverstellten Blick in die Sterne. Sie hat bei Projekttagen Jugendliche erlebt, die es eklig fanden, barfuß durch einen Fluss zu waten – und danach von der Erfahrung begeistert waren. „Ich möchte Samenkörner werfen für mehr Achtsamkeit“, sagt sie. Ihr sei klar, dass die Welt allein damit nicht zu retten sei. Hier sei auch die Politik gefragt: „Die Menschen agieren wirtschaftlich global, jetzt müssen auch die daraus resultierenden Umweltprobleme global verstanden werden um die richtigen Maßnahmen abzuleiten und zwar schnell!“ Katja Haescher