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Spitzer Turm kam später dazu

Mittelalterliche Kirche in Buchholz beherbergt Ausstellung zu Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Der Turm der Buchholzer Kirche.
Die Buchholzer Kirche: Der Turm stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Fotos: Rainer Cordes

Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal in der Kirche zu Buchholz, die voller Kinderlieder steckt.

Manchmal muss man das System mit seinen eigenen Waffen schlagen. Als der Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Kämpfer für bürgerliche Freiheiten und Kritiker der Kleinstaaterei, aus Preußen ausgebürgert wurde, fand er in Mecklenburg Unterschlupf. Gutsbesitzer Samuel Schnelle stellte den Schriftsteller pro forma als Kuhhirten ein, machte ihn so zum Landeskind und schenkte ihm damit Heimatrecht. Daran erinnert vor der Kirche in Buchholz ein Findling mit den Porträts von Dichter und Gutsherr mit Hoffmanns „Scheidegruß aus Mecklenburg“. „Verfolgt im ganzen deutschen Reiche,/ aus meiner Heimat gar verbannt,/ fand ich in dir, was ich verloren,/fand ich in dir mein Vaterland“, dichtete der Dichter 1849 nach seinem fünf Jahre dauernden Exil, das er bei dem Guts­pächter Rudolf Karl Müller in Holdorf verbrachte.
Sicher wanderte Heinrich Hoffmann von Fallersleben von dort so manches Mal nach Buchholz – wer Kinderlieder wie „Ein Männlein steht im Walde“, „Summ, summ, summ“ und „Winter ade“ schreiben kann, muss einfach viel draußen unterwegs gewesen sein. Die Kirche allerdings sah damals noch anders aus: Der 37 Meter hohe spitze Turm, der heute von der Autobahn 14 gut zu sehen ist, entstand erst 1869. Sein Vorgänger war vermutlich ein hölzerner Glockenstuhl, der 1860 abgebrochen wurde. Ein wenig verstellt der so markante neogotische Kirchturm den Blick auf das mittelalterliche Schiff, das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit einem polygonalen Chor­abschluss vollendet wurde. Die Buchholzer Bauausführung ist insofern ungewöhnlich, als dass der Chorschluss nicht über drei Seiten eines Achtecks, sondern über fünf Seiten eines Zwölfecks entworfen wurde. Dies bietet Raum für fünf Chorfenster, deren mittleres Wappendarstellungen in Buntglas zeigt. Die Kirche zählt vier Portale, darunter die mittelalterlichen Gemeindeportale auf der Nord- und auf der Südseite, ein Feiertagsportal im Westen und die Priesterpforte im Südosten.
Die neogotische Umgestaltung im 19. Jahrhundert sorgte dann unter anderem für den Einbau der Empore und neuer Bankreihen. Die Fenster erhielten eine ziegelimitierende Einfassung, die noch heute zu sehen ist. Älter sind die Malereien an der Wand über der Empore, die aus der Zeit des Barock stammen, neben Inschriften sind eine Sonne und ein Mond gut zu erkennen. Eine Orgel fehlt, stattdessen gab es ein Harmonium, das allerdings 1945 gestohlen wurde.

Inneres der Kirche mit Blick auf die fünf Chorfenster.
Die fünf Chorfenster erhielten bei der neogotischen Umgestaltung eine farbige Einfassung mit Ziegelimitat-Malerei.

Dennoch steckt die Buchholzer Kirche voller Lieder: Kuckuck, ruft‘s aus dem Wald. Ein Vogel wollte Hochzeit machen. Morgen kommt der Weihnachtsmann. Sie alle gehören zum Kinderliederschatz Hoffmanns und erklingen auf Knopfdruck in der Ausstellung, die unter der Empore an den Dichter erinnert. Bereits 1843 hatte Hoffmann von Fallersleben eine erste Kinderliedersammlung veröffentlicht, der in den folgenden Jahren weitere folgten. In der musikalischen Familie von Guts­pächter Müller und der mecklenburgischen Landschaft vor der Haustür hatte der Schriftsteller in den Jahren des Exils dafür manche Anregung gefunden. Die Ausstellung zeigt ihn aber auch als Dichter des Lieds der Deutschen, das mit einer Melodie von Haydn zur Nationalhymne wurde, und als streitbaren Demokraten, der auch in Mecklenburg Mitstreiter fand.
Die Präsentation ist ein Projekt des Fördervereins „Fünf Türme“ und dank einer Förderung des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Rahmen der Modellprojekte Landkultur möglich geworden. Die beiden entstandenen Präsentationswürfel zu beiden Seiten des Mittelgangs schaffen eigene Räume, die über eine Lamellenwand dennoch den Bezug zum Kirchenraum wahren und sich harmonisch in das Gesamtbild fügen.

Katja Haescher