„Herzrasen kann man nicht mähen“, steht auf einem Schild auf dem Hof. „Nicht jeder muss mich mögen. Es reicht, wenn es die Richtigen tun“, auf einem anderen. Das, was Susanne Kramer in Klein Krams tut, mögen viele Menschen. So viele, dass die 62-Jährige im Oktober mit dem Ludwig-Reinhard-Kulturpreis des Landkreises Ludwigslust-Parchim ausgezeichnet wurde. Zu Herzrasen hat das nicht geführt, wohl aber zu Herzklopfen – und zu einer „großen, großen Freude“.
Am Anfang war das Haus. So beginnt die Geschichte einer Frau Kramer, die nach Klein Krams kommt – und zu einer „Kramserei“. Das Gebäude auf dem 6500 Quadratmeter großen Grund hat mehrere hundert Jahre auf dem Gebälk und gehört zu den ältesten in dem 580 Jahre alten Ort in der Griesen Gegend. Es war auch nicht irgendein Haus, sondern der Hof schlechthin: Dorftanzsaal und Krug, Kolonialwarenladen und später Konsum hatten hier ihre Adresse, nicht zu vergessen der Viehmarkt. Und damit passte es eigentlich auch gar nicht ins Schema, als die Hamburgerin Susanne Kramer und ihr Mann ein kleines Wochenendhäuschen suchten.
Aber „eigentlich“ ist vieles im Leben. Und fuhren beide anfangs nur am Wochenende nach Klein Krams, zog das Paar 2014 ganz hier her. Als Werbe- und Kommunikationsfachfrau kann Susanne Kramer überall arbeiten, wo ein Computer mit Internetanschluss steht. Das ist in der 760-Seelen-Gemeinde Alt-Krenzlin, zu der Klein Krams gehört, nicht anders als in der 1,8-Millionen-Einwohnerstadt Hamburg. Anders ist der Platz zum Ausbreiten: Während in Hamburg auf einem Quadratkilometer im Durchschnitt mehr als 2400 Menschen leben, sind es in Alt-Krenzlin 20. „Und wer hat schon einen Stall, den er nutzen kann, weil er ihn nicht anders nutzen kann?“, sagt Susanne Kramer und lacht ihr ansteckendes Lachen. So spielten die im Haus vorhandenen Möglichkeiten bei der Entstehung von Mecklenburgs kleinstem Kulturzentrum eine große Rolle.
Der erwähnte Stall zum Beispiel bietet Raum für Workshops und fürs Kaffeetrinken. Der FilmClub trifft sich hier genauso wie Menschen aus den umliegenden Orten auf ein Stück Torte – warum allein zu Hause backen und löffeln? Im Saal treten renommierte Künstler auf und es wird wieder getanzt.
Susanne Kramer kann sich noch gut an die erste Veranstaltung erinnern. „Wir sind im Februar 2014 mit zwei Lkw hier angekommen und die Möbelpacker haben die Kisten in den Saal geschleppt. Bis Pfingsten mussten wir alles freigeräumt haben, weil Künstler anlässlich von ‘Kunst offen‘ hier ausstellten“, erzählt sie. Unter den Besuchern, die damals kamen, waren viele Kramser, die endlich wieder einen Blick in den Saal werfen wollten.
Das ist jetzt regelmäßig möglich. Am 14. und 15. Dezember lockt zum Beispiel die WeihnachtsKramserei. „Wir scheuen dann keine Mühe, den Saal in ein großes Weihnachtswohnzimmer zu verwandeln“, sagt Susanne Kramer und fügt hinzu: „Wir wollen unsere Besucher in die Kindheit zurückversetzen. Schließlich sind wir hier am Platz der Jugend.“ Eine passende Adresse also für einen Ort der Inspiration und des Austauschs.
Und auch die „Kramserei“ ist nicht ohne Gedankenspiele zu ihrem Namen gekommen. Sicher, Krams spielte eine Rolle und auch der Familienname Kramer. „Ich hatte aber auch den Begriff der Karawanserei im Sinn“, sagt die Inhaberin. Ganz im Sinne dieser Herbergen an Karawanenstraßen gefiel ihr die Idee eines Orts, an dem Menschen Kunst und Essen und Rast, eben etwas für Leib und Seele, finden.
Apropos Essen: Wenn immer wieder sonntags das Café öffnet, hat Susanne Kramer dafür zuvor Süßwerke wie Pina-Colada-Torte, Mohn-Eierschecke und Schneewittchenkuchen gebacken. „Mit großer Leidenschaft“, fügt sie hinzu, mit der sie überhaupt alles tut, was sie tut. Jeder Gast isst und trinkt von einem individuellen Sammeltassenset, von denen sich inzwischen mehr als 100 in der „Kramserei“ angesammelt haben. Diese Liebe zum Detail ist überall spürbar – genauso wie die Absicht, die Menschen ins Gespräch zu bringen. Das ist auch der Grund, warum große Tische im Café stehen: Sie fördern das Zueinander-Setzen.
Und weil Ludwigslust 16 Kilometer entfernt ist und Schwerin 50, kürzt die „Kramserei“ für viele die Wege zu Kultur und Gemeinschaft ab.
Die Qualität und das Niveau des Angebots haben sich nicht nur unter Besuchern herumgesprochen. „Wir können uns vor Bewerbungen von Künstlern kaum retten“, freut sich Susanne Kramer, die mit ihrem Umzug aufs Land zu den eigenen Wurzeln zurückgekehrt ist: Groß geworden ist sie in einem Dorf in Franken.
In Klein Krams haben Einwohner und Nachbarn seit der Eröffnung der „Kramserei“ mehr zu lachen: Satire, Comedy und Kabarett machen einen großen Teil des Programms aus. „Das Leben ist ernst genug, lachend lebt es sich leichter“, ist die engagierte Gründerin überzeugt. Dass es sich lohnt, viel Mühe zu investieren, wussten übrigens auch Susanne Kramers Vorgänger auf dem Hof. 1843 schrieb ein gewisser Johannes Becker einen Sinnspruch in den Balken: „Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten.“
Katja Haescher