Der Weg ins Paradies führt über Straßen, die immer kleiner werden. Dort angekommen warten schon Novalis und Augusta Luise, Papagena und Wolfgang Amadeus. Und Hannelore Stuppy natürlich, unter deren Händen diese und andere Rosenarten, Stauden und Gehölze nach oben und in die Breite streben. „Ich liebe meinen Garten“, sagt die Dassowerin – und diese Liebe ist auf Schritt und Tritt zu spüren. Da wetteifert der Sonnenhut mit den selbstgezogenen Zinnien im Höhenrausch, klettern Clematis, Rambler und Schwarzäugige Susanne an Spalieren, breitet der Thymian zu Füßen der Rosen seinen duftenden Teppich aus.
Am 4. und 5. September will Hannelore Stuppy hier wieder Besucher empfangen, die am Wochenende der offenen Gärten in MV auf Landpartie gehen. „Mein Mann und ich sind früher selbst umhergefahren und haben uns Gärten angeschaut“, sagt sie. Und dabei merkten beide, dass es hinter dem eigenen Haus auch etwas zu zeigen gibt.
Vor 13 Jahren machte sich Hannelore Stuppy daran, dem Garten seine heutige Gestalt zu geben. Damals konnte sie die Fläche vergrößern, der dazugewonnene Teil hatte zum Teil brach gelegen, zum Teil einen alten Hühnerhof beherbergt. „Allein von dort habe ich 18 Schubkarren voller Grassoden heruntergeholt“, erinnert sie sich. Ehemann Peter wiederum nutzte den Winter, um Gartenbücher zu wälzen und dabei in Richtung England zu schauen.
Von den Gärtnern der Insel ließen sich beide für ihr eigenes Stückchen Grün inspirieren, indem sie Gartenräume anlegten – grüne Zimmer, getrennt durch Mauern, Hecken, berankte Gitter. Peter Stuppy als gelernter Bootsbauer kann prima mit Holz umgehen, Hannelore Stuppy pflanzt die Konstruktionen danach zu und sieht darin auch einen ganz praktischen Nutzen: „Wenn der Blick in alle Richtungen geht, sieht man immer irgendwo Arbeit. Ich kann mich dagegen mit einem Buch entspannt in das Gartenzimmer setzen, in dem es gerade nichts zu tun gibt.“
Die Liebe zum Garten begleitet die gebürtige Dassowerin schon von Kindesbeinen an. Gut kann sie sich an die Stachelbeeren erinnern, die sie und ihre Schwester mit noch harter Schale direkt vom Strauch aßen. Damals gehörte das Haus ihren Großeltern. Später diente der Garten vor allem zur Selbstversorgung: „Wenn sich die jungen Leute heute auf der Arbeit erzählen, welche Serie es bei ihnen am Abend zuvor auf Netflix gab, haben wir darüber gesprochen, wie viele Gläser Bohnen wir eingeweckt haben“, lacht Hannelore Stuppy.
Heute geht es im kleinen Paradies nicht vordergründig ums Essen, aber doch um den Genuss. „Wenn mir Besucher sagen: Sie haben ja hier so viel Arbeit! dann ist das nicht ganz richtig“, sagt die passionierte Gärtnerin und fügt hinzu: „Wie kann ich etwas als Arbeit empfinden, was ich gern tue?“
So hat sie es auch in anderen Bereichen immer gesehen. Nach der Wende war Hannelore Stuppy
20 Jahre lang Stadtvertreterin. In ihrer Heimatstadt gründete sie den Jugend-, Kultur- und Freizeitverein, betreute die Seniorensportgruppe, engagierte sich für die Städtepartnerschaft zwischen Dassow und dem lettischen Grobina. Noch heute pflegt sie Kontakte ins Baltikum – und in ihrem Garten eine Pfeifenwinde, die sie aus Lettland mitgebracht hat. „Die Blüten sehen aus wie kleine Saxophone, bei den Offenen Gärten im Juni waren sie der Renner“, sagt sie.
Langeweile ist für die 76-Jährige ein Fremdwort. Dafür sorgt auch die Töpferei, die sie seit vielen Jahren betreibt. Das Atelier teilt Hannelore Stuppy dabei mit ihrem Mann, der an der Staffelei sitzt. Und natürlich gibt es auch im Garten immer wieder Neuzugänge, die oft erst einmal Recherche erfordern – wie der amerikanische Tulpenbaum, eine Art, in die sich Hannelore Stuppy spontan verliebte, als sie zum ersten Mal ein solches Exemplar sah.
Als sie dann einen eigenen Tulpenbaum in ihren Garten pflanzte, tat sie es noch auf Augenhöhe – doch dann fing der Baum zu wachsen an. Sechs Meter hat er bereits geschafft, doppelt so viele könnten es noch werden. Hat ihm Hannelore Stuppy vielleicht zu gut zugeredet? „Ich rede mit allen gern – ob Menschen, Tiere oder Pflanzen“, sagt die 76-Jährige und lacht ihr ansteckendes Lachen. Und apropos Tiere: Ganz ist der alte Hühnerhof nicht verschwunden, denn hinter dem Garten picken Nette, Hexe, Bruni und Mohrle. Die vier Hühner hat das Ehepaar aus einer Legebatterie gerettet und Hannelore Stuppy verwöhnt die Federtiere seitdem täglich – sei es mit Haferflocken oder Pellkartoffeln.
Und niemals, sagt Hannelore Stuppy, darf man vergessen, das Paradies zu genießen – sei es nun in der „Sonntagnachmittagschattenkaffeetrinksitzecke“ oder auf ihrer geliebten Philosophenbank inmitten von Kräuterduft im Bauerngartenabteil. Die ist wie gemacht fürs Sinnieren – vielleicht auch über den Spruch des indischen Philosophen Rabindranath Tagore: „Narren hasten, Klugen warten, Weise gehen in den Garten.“
Katja Haescher