„Jeden Tag möchte ich das nicht tragen!“ Helene Frindt ist sehr froh darüber, dass Frauen einst dem Korsett Lebewohl gesagt haben. Wenngleich – manchmal schlüpft sie doch noch hinein zwischen Stäbe und Schnüre, denn Mitte des 19. Jahrhunderts machte das Mieder ein Outfit erst perfekt. Mitte des 19. Jahrhunderts – das ist die Zeit, um die es geht, wenn sich Helene Frindt mit Gleichgesinnten vom Schweriner Schlossverein trifft. „Auf dem historischen Schlossfest wird die Zeit um 1860 dargestellt, als der Großherzog das umgebaute Schweriner Schloss bezog“, sagt die Consraderin. Auch sie wird am 18. Juni wieder in Cape und Reifrock durch den Burggarten schreiten – die gerade Haltung und die andächtigen Bewegungen werden den Damen von ihrer Garderobe dabei geradezu aufgezwungen.
Und überhaupt die Gaderobe: Sie beschäftigt Helene Frindt rund ums Jahr – den Reifrock gibt es schließlich nicht im Klamottenladen nebenan. Deshalb greift die 70-Jährige selbst zu Nadel und Faden, um schneidernd ins 19. Jahrhundert einzutauchen. Das entsprechende Know-how dafür hat sie sich seit ihrer Jugend angeeignet.
„Ich habe schon immer gern genäht; zu DDR-Zeiten allein deshalb, um mehr zu haben, als die Stange hergab“, sagt sie. Im Plastmaschinenwerk in Schwerin besuchte die Maschinenbau-Ingenieurin in ihrer Freizeit gern den Handarbeitszirkel. Aus diesem Kreis kam nach der Wende auch der Vorschlag, im Schlossverein mitzumachen.
Viel war damals den Bach heruntergegangen, auch beruflich musste sich Helene Frindt neu orientieren. „Ich bin aber jemand, der sich auf Neues einlässt und gern Dinge ausprobiert“, sagt sie. Das betraf jetzt auch das etwas veränderte Hobby: Hatte die kreative Frau bisher nach der neuesten Mode geschneidert, nähte sie nun zuallererst
eine Krinoline. Über diesen durch Federstahlreifen gespreizten Unterrock wird der gut und gern bis zu vier Meter Umfang habende Überrock gezogen. So viel drunter und drüber ist natürlich auch für die Näherin eine Herausforderung: „Der erste Schnitt, den ich
hatte, war zudem auf Englisch“, erinnert sich Helene Frindt. Ebenfalls wichtig: Die Federstahlreifen müssen die richtige Stabilität haben – anderenfalls klappt der Rock durch die Last der Überröcke ein.
Versuch und Irrtum gehören also zur Schneiderei, gelungene Lösungen und Erfahrungen werden innerhalb der Gruppe von Näh- Enthusiasten ausgetauscht. Die nennt sich die HofnADELn und bewegt seit 2015 unter dem Dach des Schlossvereins die Nadeln. Übrigens nicht nur für den Eigenbedarf: Zusätzlich entstehen Roben für den Fundus des Vereins, in diesem Jahr musste zum Beispiel für Kinder aus der Tanzgruppe der Nils-Holgersson-Schule die Garderobe angepasst werden. Dazu kommt der Anspruch, historisch korrekt zu sein: Reißverschlüsse und Druckknöpfe an Kleidern sind tabu, Haken und Ösen dagegen gefragt – und Sicherheitsnadeln.
„Die haben wir alle immer dabei, um schnell mal etwas festzustecken“, gesteht Helene Frindt. Inzwischen ist der Umzug anlässlich des historischen Schlossfestes fast ein Familienausflug geworden: Ehemann Klaus, Tochter und Schwiegersohn schlüpfen dann ebenfalls in die Modewelt des zweiten Rokoko. Zusammen mit ihrem Mann führt Helene Frindt die selbstgenähten Kleider sogar zum Tanzen aus – im historischen Auftrag. Denn Reigentänze wie die Fledermaus- Quadrille werden ebenfalls während des historischen Schlossfestes und bei ähnlichen Gelegenheiten gezeigt. Unter Menschen zu sein, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, auch das nennt Helene Frindt gute Gründe für ihr Engagement. Darüber hinaus freut sich sich, damit etwas für Schwerin zu tun, kulturelles Leben in die Stadt zu bringen. Für die gebürtige Warenerin ist die Stadt – auch wenn sie inzwischen
an der Peripherie lebt – geliebte Wahlheimat. „Während meines Studiums hatte ich die Chance, zum Praktikum hierherzukommen. Ich kannte Schwerin überhaupt nicht, habe aber sofort gesagt: Da will ich hin“, erinnert sie sich. Die angenehme Größe, verbunden mit der Möglichkeit, Kunst und Kultur zu erleben, macht für sie den Reiz der Stadt aus.
Am 18. Juni steht nun wieder das Schlossfest im Kalender – ein Ereignis, auf das sich alle Schlossfreunde schon lange freuen. Helene Frindt freut sich auch darauf, dann wieder mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen – ein Reifrock ist immer ein guter Eröffnungsgegenstand. „Die Leute wollen zum Beispiel wissen, wie lange das Anziehen dauert, ob man sich damit überhaupt hinsetzen kann und ob es unter dem Rock nicht zu warm ist“, zählt sie auf. Die Antworten: Das Ankleiden kann schon mal eine halbe Stunde dauern, sitzen geht und im Winter kann es unter dem weit abstehenden Rock ganz schön kühl werden. Zum Glück haben moderne Frauen ja auch Hosen oder Leggins im Schrank.
Katja Haescher