Spannung, Liebe, Dramatik: In Lieblingsbüchern geblättert
„Die Welt ist schwarz und weiß und ohne Farben“, schreibt Erich Kästner über den Winter. Das stimmt nur bedingt. Denn das Schwarz auf Weiß der Buchseiten führt unweigerlich ins Bunte: in fremde Welten, ferne Zeiten, andere Leben. Und was gibt es Schöneres, als sich bei kaltem und grauen Wetter in den Lesesessel zu verkriechen? Wenn die Teetasse dampft und die Seiten rascheln, ist das Draußen egal und es kann noch ein bisschen weiternieseln.
Rund 70.000 Bücher erscheinen jedes Jahr in Deutschland. Da stehen die Chancen gut, auf eins zu treffen, das richtig toll ist, das man am liebsten den ganzen Tag herumtragen möchte und eine Beschwerde erwägt, wenn es zu Ende geht. Und es müssen ja nicht immer Neuerscheinungen sein: Manchmal versteckt sich auch hinten im Regal noch ein potenzieller Lieblingsbuch.
Ein paar Anregungen dafür sind hier zusammengetragen – viel Spaß beim Blättern!
Die Spiegelreisende – Fantasy in vier Bänden
In „Die Spiegelreisende“ taucht die französische Autorin Christelle Dabos gemeinsam mit ihren Lesern in eine einzigartige Welt bestehend aus 21 schwebenden Archen. Jede dieser beheimatet Bewohner mit besonderen magischen Eigenschaften. Über die insgesamt vier Bände hinweg begleitet man die anfangs schüchterne Ophelia von der Arche Anima. Sie hat das Talent, die Vergangenheit von Gegenständen zu lesen und durch Spiegel zu reisen. Während Ophelias Abenteuern verfolgt man gebannt ihre persönliche Entwicklung und lässt sich selbst auf eine zauberhafte Reise in die eigene Fantasie ein. Eine Empfehlung für große und kleine Träumer, die auf der Suche nach einer Buchreihe sind.
Biedermeier ohne Beschaulichkeit
Sie soll sticken, häkeln, malen. Und den Mund halten. Dass sie Gedichte schreibt, würde die Familie ja verstehen. Aber müssen es unbedingt Hexameter sein? Überhaupt ist sie exaltiert, impertinent und die reinste Plage. Annette von Droste-Hülshoff verletzt in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ von Karen Duve so ziemlich jede gesellschaftliche Norm, die das 19. Jahrhundert für Frauen von Stand bereithält. Das bereitet großes Lesevergnügen und entwickelt ein Zeitporträt, das mit beschaulichem Biedermeier nichts zu tun hat. Heute gehören Annettes Werke zum Kanon der deutschen Literatur. Damals wollte man sie einfach nur schnell verheiraten.
Wenn Vergangenheit Gegenwart bestimmt
Was tust du, wenn plötzlich im Treppenhaus ein junger schwarzer Mann steht und sagst, du seist seine Tante? Die Römerin Ilaria hat genau diese Begegnung, die zum Ausgangspunkt einer Spurensuche wird. Ihr Vater ist zu alt zum Reden, er hat sein Leben schon vergessen. In dem Buch „Alle, außer mir“ erzählt Francesca Melandri eine Familiengeschichte, die mit der italienischen und europäischen untrennbar verbunden ist. Sie erzählt von Äthiopien, von Kolonialismus und Nationalsozialismus, von Gewalt, fehlenden Zukunftschancen und davon, wie die Vergangenheit auf die Gegenwart wirkt. Das entwickelt einen enormen Sog, der eine Frage nicht ausspart: Helfen wir nur dem, der das richtige Blut hat?
Viel Schatten – und noch mehr Licht
Da ist er: Der nächste große Wurf von Nino Haratischwili. „Das mangelnde Licht“ nimmt seine Leser wieder mit auf Zeit- und Fernreisen in die Geschichte(n) ihrer Heimat Georgien. „Das achte Leben (Für Brilka)“ war ein Jahrhundertroman. Das neue Werk ist ebenso epochal. Keto, Dina, Nene und Ira wachsen zu Zeiten der sowjetischen Dämmerung in Tbilissi auf. Im Kaukasus gibt es mehr als die hierzulande erlebten Brüche und Zusammenbrüche. Bruder- und Bandenkriege bestimmen den Alltag. Mittendrin die vier Freundinnen. Doch das Drama auf der politischen Bühne bildet nur den Rahmen, um die nicht weniger dramatischen Lebens- und Liebesgeschichten der vier jungen Frauen zu entfalten.
Tipps in Sachen Liebe gefällig?
Nirgendwo werden Tipps in Sachen Liebe dringender benötigt, als an einer Highschool. Jeder weiß, dass man sich dabei am besten an Spind 89 wendet: einfach einen Zettel mit dem Problem einwerfen und eine Mail mit hilfreichen Tipps zurück erhalten. Niemand weiß, dass die unscheinbare Darcy Phillips hinter den Ratschlägen steckt – bis Alexander Brougham, der Schwimmstar der Schule, sie beim Leeren des Spindes erwischt. Um zu verhindern, dass die ganze Schule, und vor allem Darcys heimlicher Schwarm und beste Freundin Brooke, erfahren, wer hinter dem Spind steckt, lässt Darcy sich auf einen Deal mit Alexander ein und hilft ihm, seine Ex-Freundin zurückzugewinnen.
Die Entscheidung – Gehen oder Bleiben?
Wer glaubt, dass wahre Liebe vergänglich ist, hat noch nicht „Der Papier Palast“ gelesen. Elle Bishop ist 50 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Das Leben mit der anstrengenden Mutter und dem liebevollen Ehemann läuft in geregelten Bahnen. Bis ein Besuch in dem Ferienhaus ihrer Kindheit alles durcheinander wirbelt. Denn tief in ihr liegt eine schmerzliche Sehnsucht verborgen und die heißt Jonas. Ihr Freund aus Jugendtagen bringt sie mit seiner Anwesenheit gehörig ins Straucheln. Autorin Miranda Cowley Heller entführt ihre Leser an einen wunderbaren Ort voller Sonne und Sehnsucht, an dem die Entscheidung über Gehen oder Bleiben in einem schmerzlich hellen Licht erstrahlt.
Auf den Straßen Philadelphias
Mickey zieht durch die Straßen ihres Viertels in Philadelphia. Ihre Uniform schützt die Streifenpolizistin vor den Verbrechen, die die Stadt ihr entgegen schleudert. Doch einer Sache steht sie vollkommen schutzlos gegenüber: der Angst um ihre Schwester Kacey. Die junge Frau ist als Prostituierte auf den Straßen Philadelphias unterwegs. Eines Tages verschwindet Kacey spurlos, während sich die Morde an jungen Frauen im Rotlichtmilieu häufen. Im Kampf mit ihren inneren Konflikten und den Verletzungen ihrer Familiengeschichte begibt sich Mickey auf die gefährliche Suche nach ihrer kleinen Schwester und bekommt dabei die dunkelsten Ecken Philadelphias hautnah zu spüren.
Entgegen aller Widrigkeiten
Junge Liebe kann so schön sein – und ebenso dramatisch! Besonders, wenn die frischen Frühlingsgefühle durch die Schatten eines Krieges verdunkelt werden. „Das Flüstern der Feigenbäume“ erzählt die emotionale Geschichte von Defne und Kostas, zwei jungen Liebenden, die inmitten des eskalierenden Zypern-Konflikts in den 1970er Jahren zueinander finden. Sie wollen ihr Glück in die Welt hinausrufen, doch das ist gefährlich: Denn er ist Grieche und sie Türkin. Es beginnt ein nervenaufreibendes Versteckspiel, das auch Jahrzehnte später noch schmerzliche Erinnerungen hervorruft und deren Narben nur sehr langsam verblassen. Und mittendrin: ein Feigenbaum, der in seiner kräftigen Schönheit entgegen aller Widerstände überlebt hat.