Wer kennt das nicht: Da steht ein schönes Haus in der Straße, hundertmal und öfter ist man schon vorbeigegangen. Aber was verbirgt sich hinter der Fassade? Welche Geschichten stecken hinter den Mauern, wer geht hier ein und aus? Denn schließlich sind Geschichten von Häusern immer auch Geschichten von Menschen. In dieser Serie wollen wir gemeinsam mit Ihnen hinter Fassaden blicken. Diesmal im Gadebuscher Rathaus, das mit Fug und Recht als eines der schönsten im Land bezeichnet werden kann.
1993 erhielt Gadebusch als eine der ersten Kommunen im Land eine Umgehungsstraße. Die Einwohner konnten aufatmen, die Auswärtigen kamen schneller voran. Nur: Eines der schönsten Häuser der Stadt bekommen sie seitdem nicht mehr zu sehen. Es sei denn, sie machen einen Abstecher – und den ist das Rathaus mit seinem Renaissancegiebel, das sich in schönster kleinstädtischer Symbiose mit der Kirche zu einem malerischen Ensemble fügt, auf jeden Fall wert.
Ein Spaziergang hierher führt über geschichsträchtigen Boden – gehört doch Gadebusch zu den ältesten Ortschaften in Mecklenburg. Burg und Stadt haben ihren Ursprung in frühslawischer Zeit; ein in der Eiszeit entstandener kleiner Höhenzug trug die Befestigung, unterhalb der sich bereits im 10. Jahrhundert eine Markt- und Handwerkersiedlung entwickelte. Im 12. Jahrhundert war in der Gegend einiges los: 1147 brach Herzog Heinrich der Löwe zum ersten Wendenkreuzzug auf, bei dem er weniger religiöse als wirtschaftliche Ziele verfolgte. Dazu gehörte die Ansiedlung deutscher Einwanderer, die sich bald mit der slawischen Bevölkerung mischten. Als sich der Lehnsmann Bernhard von Badewide mit dem Herzog verkrachte und daraufhin in Gadebusch verkroch, ließ Heinrich Burg und Stadt kurzerhand niederbrennen – der Löwe war in der Wahl seiner Mittel wenig zimperlich. Doch der Siedlungsplatz hatte sich bewährt, so dass bald darauf der Wiederaufbau begann. Gleichzeitig entstanden jetzt Bohlenwege, die das schwer zugängliche Gelände erschlossen und den Verkehrsknotenpunkt Gadebusch wachsen ließen. An der Hauptkreuzung, von der es in die Richtungen Lübeck, Schwerin, Wismar und Rehna geht, entstand das Rathaus. Sein Kern geht auf einen mittelalterlichen Bau zurück und es ist älter, als angenommen. Datierte man den Bau lange in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, wiesen archäologische Untersuchungen während der Restaurierung des Gebäudes schon ins 13.
Im Jahr 1225 hatte Gadebusch lübisches Stadtrecht verliehen bekommen und um Kirche und Burg entwickelte sich der städtische Mittelpunkt. Auch das Rathaus entwickelte sich, bis schließlich zwei Gebäude zu einem zusammenwuchsen. Die heute ältesten Bauteile stammen aus dem 14. Jahrhundert, schon im 15. musste in Richtung Norden erweitert werden. Die Jahreszahl 1618 an der Marktseite weist auf einen weiteren Umbau hin: In jenem Jahr entstanden der Renaissancegiebel und die Gerichtslaube, in der auch öffentliche Verhandlungen stattfanden. Zudem wurde hier unbotmäßiges Volk an den Pranger gestellt: Metallklammern deuten auf die Stellen, an denen einst eiserne Ringe darauf warteten, die Hälse der Delinquenten zu umschließen. Und nicht jeder kam mit dem Pranger davon: Zwischen 1648 und 1670 wurden in Gadebusch sieben Menschen der Hexerei beschuldigt und verbrannt.
Für das Rathaus selbst wurde es 1919 gefährlich: Die Stadt wollte sich einen Neubau gönnen und hatte dafür sogar schon einen Wettbewerb ausgeschrieben. Auch das Geld war da, allerdings nur bis zur Inflation, die das Projekt – zum Glück fürs historische Erscheinungsbild der Stadt – beendete.
Wer heute den Gebäudekomplex umrundet, kann viel entdecken. Die auf die Barockzeit zurückgehende geschnitzte Eingangstür. Das Wappen am Giebel. Das aus dem 16. Jahrhundert stammende Ratsdienerhaus an der Rückseite, das Gadebuschs ältester Profanbau ist. Hier fügt heute ein Glasanbau dem über Epochen gewachsenen und als Amtssitz sanierten und ausgebauten Komplex auch ein Stück 21. Jahrhundert hinzu.
An der Rückseite begegnen Spaziergänger außerdem dem Münzschläger, der hier an eine bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Münztradition erinnert. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Katja Haescher